KRIEGSENDE 1945

Das Treffen der Überlebenden

von Redaktion

Wie NS-Verfolgte überlebten – Gedenkfeier

Der Eingang zum ehemaligen KZ mit dem Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“.

Gedenken am Mahnmal in der KZ-Gedenkstätte Dachau: Charlotte Knobloch hat sich nach der Kranzniederlegung bei Ernst Grube untergehakt. © Marcus Schlaf (2)

Dachau – Es ist gewissermaßen ein historischer Ort: Im Dachauer Schloss fand am 9. November 1945 die erste Gedenkfeier für die Opfer der Konzentrationslager statt – sie wurde damals weltweit im Radio übertragen. 80 Jahre später findet erneut eine Gedenkfeier statt. Ministerpräsident Markus Söder ist anwesend, Landtagspräsidentin Ilse Aigner, der Direktor der Bayerischen Gedenkstätten, Karl Freller, viele Ehrengäste – ein würdiger Rahmen für die eigentlichen Hauptpersonen: Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung. Vier legen um die Mittagszeit einen Kranz in der KZ-Gedenkstätte Dachau nieder, ein fünfter, der Wittelsbacher Herzog Franz von Bayern, stößt später bei der Gedenkfeier im Schloss dazu.

Jeder und jede hat eine ganz eigene Geschichte. Die von Abba Naor, mit 96 der Senior der Gruppe, ist auf wenigen Zeilen kaum zu erzählen. Der Jude aus Litauen kam über das KZ Stutthof nach Utting am Ammersee. Dort gab es ein Außenlager des KZ Dachau. Abba Naor überlebte den Todesmarsch. „Eigentlich war ich ein alter Mann“, sagte er einmal über die Zeit 1945. Ein alter Mann – mit 17. Seit 1995 besucht Abba Naor regelmäßig Bayern, trotz seines Alters ist er oft in Schulklassen – ähnlich wie Ernst Grube (92). Dieser musste als Sohn einer jüdischen Mutter und eines nicht-jüdischen Vaters als Kind im nationalsozialistischen München den Judenstern tragen, kam in ein Deportationslager und hat das KZ Theresienstadt überlebt.

Herzog Franz von Bayern (91) hat erst spät über seine Zeit im KZ erzählt. Sein Vater Albrecht war mit der Familie, darunter der damals elfjährige Franz und sein jüngerer Bruder Max, im Oktober 1944 verhaftet und als „Sonderhäftlinge“ zunächst nach Sachsenhausen gebracht, dann in Flossenbürg und Dachau inhaftiert worden. „Ich dachte, hier komme ich nicht mehr lebend raus“, sagte Franz später. Mit Charlotte Knobloch (92), seit 1985 Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, ist er gut bekannt, ja befreundet. Sie telefonieren öfter. Obwohl Charlotte Knobloch die NS-Zeit auf ganz andere Weise – versteckt auf einem Bauernhof in Franken – überlebt hat, verbindet die Vergangenheit doch irgendwie. Der Bruder von Franz, der Tegernseer Max, kann krankheitsbedingt nicht zum Gedenkakt kommen.

Eva Umlauf, 82 Jahre alt und die jüngste der Gruppe, hat erst vor etwa zehn Jahren erstmals über ihre Geschichte berichtet. Für sie ist der Internationale Holocaust-Gedenktag am kommenden Montag tatsächlich der Tag der Befreiung, denn sie war in Auschwitz, das an diesem Tag von der Roten Armee befreit wurde. Sie wurde als Kleinkind mit ihren Eltern vom slowakischen Arbeitslager Nováky nach Auschwitz deportiert – zu diesem Zeitpunkt, im November 1944, waren die Vergasungen zum Glück schon eingestellt worden. „Wir wurden nicht vergast – aber wir wurden noch tätowiert“, sagte sie in einem Interview. A-26958 lautet ihre Nummer auf dem Unterarm.

Die Gruppe hakt sich unter, als sie nach der Kranzniederlegung in der KZ-Gedenkstätte zurückgehen. Im Schloss greift Ilse Aigner die AfD scharf an. Der Ruf nach Verharmlosung der NS-Zeit werde „lauter und unverschämter“, sagt sie. Hitler als Kommunisten zu bezeichnen, wie es die AfD-Chefin Alice Weidel tat, sei „eine perfide Verhöhnung der Opfer“, denn die Kommunisten seien unter den ersten gewesen, die die Nazis ermordeten. Weidels Vorgehen sei jedoch Kalkül – „sie tut das, weil es ihr nützt“. Da applaudieren auch die Überlebenden.
DIRK WALTER

Artikel 1 von 11