Der wandelnde Vermittlungsausschuss

von Redaktion

Marcel Huber ist seit einem Jahr Vorsitzender des Praktikerrats beim Agrarministerium

Marcel Huber bei der Hauptalmbegehung 2018 mit Michaela Kaniber, Ilse Aigner und Markus Söder. © Lino Mirgeler/dpa

Der Erhalt der Natur und die Versorgung mit regionalen Lebensmitteln gehören für Marcel Huber untrennbar zusammen. © pa

München – Für Marcel Huber ist es eine Frage des Ringens um einen fairen Kompromiss zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft: Die Forderungen nach mehr Umwelt- und Tierschutz zu verbinden mit mehr Wertschätzung für die heimische Landwirtschaft. Getrieben von der Überzeugung, dass es zu schaffen ist, „alle ins Boot zu holen“, hat sich der frühere CSU-Umweltminister reaktivieren lassen. Auf Bitten von Agrarministerin Michaela Kaniber übernahm er vor einem Jahr die Leitung eines Praktikerrats, der zur künftigen EU-Agrarpolitik (GAP) und zum Bürokratieabbau praxistaugliche Vorschläge entwickeln sollte.

Eigentlich hatte sich der 67-Jährige 2022 ins Privatleben zurückgezogen, als seine Frau Adelgunde schwer erkrankte. Ein Jahr später starb die Mutter von drei Kindern. Seit der Zeit lebt Marcel Huber sehr zurückgezogen und kümmert sich in erster Linie um seine Familie. Als Kaniber ihn als ehrenamtlichen Lenker des 30-köpfigen Praktikerrats mit Vertretern der Landwirtschaft, der Naturschutzverbände, des Lebensmittelhandwerks und der Staatsregierung gewinnen wollte, „hab ich mich überreden lassen“. Denn den gelernten Tierarzt, der zweimal Umweltminister war und die Staatskanzlei geleitet hat, wurmt die mangelnde Wertschätzung für die Bauern. Und er fordert, dass ein realistisches Bild von der Landwirtschaft vermittelt wird.

Huber rechnet vor: 1948 hat ein Bauer zehn Menschen ernährt. „Heute sind es 140 bis 145.“ Die Preise sind im Laufe der Jahre verfallen, „die Einkommen der Landwirte haben nicht Schritt gehalten mit denen der Bevölkerung“. Erst wurde das sehr erfolgreich mit Produktivitätssteigerungen ausgeglichen, als Folge gab es Milchseen und Butterberge, auf die die EU mit Subventionen reagierte. Zugleich stieg die Qualität der Produkte. Ob bei der Beratung zur GAP 28, die abgeschlossen ist, oder den noch laufenden Beratungen über Bürokratieabbau: „Die Beteiligten waren alle gutwillig, zu einem Ergebnis zu kommen, auch wenn die Positionen anfangs diametral waren.“ Nur so sei es möglich gewesen, für die GAP 28 ein Konsens-Papier zu erzielen. Dessen Ziel: die kleinteilige Struktur der bayerischen Landwirtschaft auf der Basis von Familienbetrieben zu erhalten.

Wer betriebswirtschaftlich argumentiere, dass sich kleine Betriebe nicht rechneten, übersehe die sozialen und ökologischen Leistungen, die von der Allgemeinheit gewünscht seien, aber sich nicht wirtschaftlich für die Bauern auswirkten, mahnt Huber. 15 Jahre war er Feuerwehrkommandant in Ampfing (Kreis Mühldorf), er kennt die soziale Kompetenz der Landwirte. „Ich weiß ja, wer da tagsüber hinten im Löschwagen gesessen ist. Das waren oft die Bauern, die einen großen Teil der Last getragen haben.“

Die EU-Agrarpolitik muss nach Überzeugung des Praktikerrats kleine Betriebe stärker fördern, mit einer „qualifizierten Grundprämie“ auch Leistungen für die Gesellschaft honorieren. Den Begriff „Subventionen“ lehnt Huber ab. „Wer sich sagen lassen muss: Du arbeitest in einem Bereich, der unwirtschaftlich ist. Du kannst nur überleben, weil wir dir mit unserem Steuergeld Subventionen geben, sieht das nicht als Motivation, in einen Betrieb zu investieren“, gibt Huber zu bedenken. Die Politik habe zunehmend Auflagen an die Förderung geknüpft. Das Ergebnis: immer mehr Regelungen und eine gefühlte Missachtung der Landwirte als reine Subventionsempfänger.

Huber will, dass deren Leistungen mehr gewürdigt werden. „In unserem gesegneten Land muss es verdammt noch mal möglich sein, seine Bevölkerung souverän zu ernähren und zugleich die Umwelt zu schützen.“ Für seine Mühe auf den Flächen müsse der Landwirt einen vernünftigen Ausgleich bekommen. Die Verbraucher müssten erkennen, welcher gesellschaftliche Wert in regionalen Lebensmitteln steckt.

Weil Huber das Grundvertrauen der Teilnehmer im Praktikerrat gewinnen konnte, stieg die Bereitschaft, Kompromisse zu schließen. „Landwirte sind so gut ausgebildet, dass man ihnen ruhig mehr Spielraum geben dürfte, die gute fachliche Praxis nach ihrem Wissen auszuüben“, sagt er. Der Praktikerrat schlägt vor, Bauern mehr entscheiden zu lassen – etwa, wann Gülle ausgebracht werden sollte. Hier ein Einverständnis mit Umweltschützern zu erzielen, „war eine anspruchsvolle Aufgabe“, gibt Huber zu. Funktionieren könne das nur, wenn die Beteiligten bereit seien, Kompromisse einzugehen, ohne das als Niederlage zu empfinden.

Der 67-Jährige sieht sich in der Nachfolge seines Mentors Alois Glück: Der 2024 verstorbene CSU-Politiker hatte nach dem Bienen-Volksbegehren 2019 beim „Runden Tisch für die Artenvielfalt“ die zerstrittenen Verbände zum Dialog zusammengebracht. Ob Huber den Praktikerrat weiter leitet, ist offen. Vorrang haben seine Kinder und Enkel. Die Begeisterung, mit der er Landwirtschaft, Umweltschutz und Verbraucher versöhnen will, zeigt aber: Das Kapitel ist noch nicht beendet.
CLAUDIA MÖLLERS

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