Nach dem Messerangriff erinnern ein Teddybär, Blumen und Kerzen an die Opfer. © Daniel Vogl/dpa
Frist zur Abschiebung knapp verpasst: der Täter bei der Vorführung vor Gericht. © Daniel Löb/dpa
München – Eine Woche nach der Bluttat von Aschaffenburg sind weitere Details zum teils zögerlichen Vorgehen der Behörden gegen den späteren Täter bekannt geworden. Beinahe wäre der 28-jährige Afghane schon 2023 abgeschoben worden – am Ende fehlten nur drei Tage. Nur 14 Minuten lagen zwischen dem Angriff des 28-Jährigen im Aschaffenburger Stadtpark auf die Kindergartengruppe und seiner Festnahme, berichtete Innenminister Joachim Herrmann (CSU) im Bayerischen Landtag. Das Unglück begann um 11.45 Uhr, als zwei Betreuerinnen der fünfköpfigen Kindergartengruppe den Afghanen im Park bemerkten, weil er laut Musik hörte.
Bollerwagen-Angriff
Doch noch bevor sie den Park verlassen konnte, ging der Mann zu einem der Bollerwagen, riss dem zweijährigen marokkanischen Jungen Schal und Mütze weg und stach mit einem 32 Zentimeter langen Küchenmesser sieben Mal auf ihn ein. Der Bub starb, sein Leichnam wurde mittlerweile nach Marokko überführt und soll dort beigesetzt werden.
Nach dem Angriff auf den Buben verletzte der Täter ein zweijähriges Mädchen, das ebenfalls im Bollerwagen saß, mit drei Messerstichen schwer. Eine 59-jährige Betreuerin schubste er weg, sie brach sich beim Sturz die Hand. Der Afghane tötete sodann einen 41-jährigen Passanten, der sich ihm in den Weg stellte. Der 41-Jährige, der zwei kleine Kinder und seine Ehefrau hinterlässt, soll posthum die Rettungsmedaille erhalten.
Außerdem wurde ein 72-jähriger Passant durch mehrere Stiche schwer verletzt, ehe der Afghane flüchtete, weil weitere Passanten zum Tatort eilten. Zwei verfolgten ihn auch und gaben mit dem Handy den Standort durch – Polizisten konnten ihn um 11.59 Uhr festnehmen. Er hat sich bislang nicht zur Tat geäußert, sagte Herrmann.
Die Uhr tickte
Gleich bei mehreren Behörden war der Afghane, der 2022 nach Deutschland kam, aktenkundig. Am 3. Februar 2023 erklärte Bulgarien die Bereitschaft, den Mann zu übernehmen, weil er von dort aus den Schengen-Raum betreten hatte. Dafür hatte das BAMF sechs Monate Zeit – doch vorher musste der Asylantrag des Afghanen ordnungsgemäß bearbeitet werden.
Wie Herrmann darstellte, zog sich das hin, obwohl bekannt war, dass die Uhr tickte. Am 9. Mai gab es zum Beispiel die obligatorische Anhörung des Mannes, am 19. Juni erfolgte die Ablehnung des Asylantrags. Die wiederum wurde eine Woche später zugestellt, doch zusätzlich musste dann die Rechtsmittelfrist von einer Woche abgewartet werden. Am 4. Juli war die Ablehnung „bestandskräftig“. Doch dann gab es erneut eine Verzögerung, weil das BAMF erst am 26. Juli den Abschiebebescheid an die dafür zuständige unterfränkische Ausländerbehörde übergab. Herrmann sparte sich Schuld-Vorwürfe in Richtung BAMF, wies aber den Vorwurf von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), bayerische Behörden hätten geschlafen, scharf zurück. „Ich kann nicht erkennen, dass man es viel anders hätte machen können.“
Denn der Mann habe in den Augen der Behörden-Mitarbeiter damals – 2023 – „keine besondere Priorität“ gehabt.
So verstrich zu viel Zeit. Entscheidend war in diesem Fall, dass am 26. Juli nur noch sechs Tage bis zur Abschiebung verblieben.
Bulgariens Vorgabe
Bulgarien steht aber grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass eine Abschiebung neun Tage vorher angekündigt werden muss. „Die Bulgaren machen das so“, sagte Herrmann, auch wenn es nicht EU-Recht entspreche. Die Behörden unterließen daraufhin einen Abschiebe-Versuch.
So blieb der Mann in Bayern. Gegen ihn liefen 18 Strafverfahren wegen kleinerer Delikte – verurteilt wurde der Afghane nur zwei Mal wegen Körperverletzung und Schwarzfahrens. Drei Mal war der Mann wegen psychischer Probleme stationär in einer Klinik, aber auf Anordnung der Ärzte jeweils nur für einige Tage.
Ein kleiner Fall letztlich – bis zur Bluttat. Für Herrmann steht fest, dass es eine grundsätzliche Wende in der Migrationspolitik geben muss, auch wenn er den Fall Aschaffenburg nicht für politische Forderungen „missbrauchen“ wolle. „Wir halten das in unserem Land mit diesen hohen Zugangszahlen nicht mehr aus.“ Hingegen warnte SPD-Fraktionschef Holger Grießhammer vor weiteren Zuspitzungen – vor allem Ministerpräsident Markus Söder (CSU) habe „sehr scharf und reflexartig gebissen“. Wolfgang Hauber (FW) mahnte Verbesserungen bei der Betreuung psychisch Kranker an. Letztlich sei es „keine ausländerspezifische Tat“, meint er. „Der Täter hätte auch ein Deutscher sein können.“
DIRK WALTER