Blick in den Weltkriegs-Bunker unterhalb des Hauptbahnhofareals. Er wird Teil für Teil weggesprengt.
Das abgesicherte Areal oberhalb des Bunkers. Bagger bringen den Schutt weg.Schlaf (2), DB
Edi Reisch und seine Frau Elena setzen die Sprengsätze.
München – Abgeschottet von der Öffentlichkeit, hinter fünf Meter hohen Sichtschutzwänden unweit des Hauptbahnhof-Südeingangs, arbeitet die Deutsche Bahn gerade die Vergangenheit auf. Besser gesagt: Sie sprengt sie weg. Ein ehemaliger Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, hinter dessen bis zu drei Meter starken Betonwänden einst 800 Münchner vor Luftangriffen Zuflucht suchten, steht dem Neubau des Bahnhofs im Weg.
Ein Drittel des NS-Bunkers muss weg, weil dort ein neuer Treppenabgang zur U4/U5 gebaut werden soll. Die Wände sind zu porös und zu dick, um sie zu zersägen. Also muss ein Fachmann ran – kein anderer als Eduard Reisch (63), der legendäre „Krater-Edi“, beseitigt mit den Mitarbeitern seiner Peißenberger Firma Reisch Sprengtechnik schon seit Wochen Stück für Stück den Nazischutt. Auch seine Ehefrau Elena hilft mit, sie hat ebenfalls eine Sprengberechtigung. Am Donnerstagabend gegen 19 Uhr war es wieder so weit. „3-2-1-0“, rief Reisch, drehte an einer Kurbel und mit einem dumpfen Wumms brach wieder ein Stück der meterdicken Betondecke in sich zusammen.
Seit Wochen geht das schon so, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. „Die Aufgabe ist, dass niemand draußen etwas mitbekommt“, sagt Reisch. Im roten Overall, wettergegerbt und braun gebrannt das Gesicht, steht der Sprengmeister auf der Baustelle und doziert über die Sprengtechnik. Mehr als hundert Bohrlöcher wurden im Abstand von etwa 50 Zentimetern in die Decke gefräst. Etwa 25 bis 30 Kilo Sprengstoff pro Sprengung wird benötigt. Reisch nimmt ein 50 Zentimeter langes rotes Kabel in die Hand. Das ist eine Zündschnur mit Plastiksprengstoff. „Handhabungssicher, wenn das runterfällt, passiert nix“, sagt Reisch. Gelbe Zündschnüre ragen aus den Bohrlöchern, ein grüner Bagger schaufelt Betonbrocken von der letzten Sprengung weg.
Was einfach aussieht, ist hochkomplex. „Da steckt ein Planungsvorlauf von einem halben Jahr dahinter“, sagt Reisch. Er musste eine Erschütterungsprognose berechnen, denn die Vorgabe der Deutschen Bahn war, dass trotz der Sprengung der Bahnverkehr nebenan auf Gleis 11 nicht aufgehalten werden darf. Das war ungewöhnlich – auch für den erfahrenen Sprengmeister. „Bei der Sprengung des Agfa-Hochhauses hatte ich 200 Meter Sicherheitsabstand.“ Ein ausgeklügeltes Verfahren verhindert, dass den Fußgängern am Hauptbahnhof zehn Meter weiter jenseits der Sichtschutzwand die Betonklumpen um die Ohren fliegen: Die Zündschnüre werden mit einem Vlies überdeckt. Darüber kommt ein Deckel aus Holz, ähnlich wie eine Palette. Und darüber massive Gummimatten – es sind auseinandergeschnittene alte Lkw-Reifen, die mit Stahlbändern zusammengehalten werden. Eine Matte, etwa sechs Meter lang und drei Meter breit, wiegt über eine Tonne.
Nächste Woche und dann wieder im Mai muss Reisch weitere Sprengungen vornehmen. Dann will die Bahn den Treppenaufgang bauen – und etwas versetzt darüber ein neues provisorisches Bahnhofsgebäude. Bis 2027 soll es stehen.
DIRK WALTER