Meine Lieblings-Kurzgeschichte stammt von Bert Brecht. Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: „Sie haben sich gar nicht verändert.“ – „Oh!“, sagte Herr K. Und erbleichte. Warum? Weil sein Gegenüber Veränderungen nicht wahrnimmt, sie lieber übersehen möchte? Oder doch eher, weil Herr K. keine innere Entwicklung zeigt und andere dies bemerken. Bemerken und süffisant in knappen Worten feststellen. Es bleibt nur ein verblüfftes „Oh!“.
Der Leser, die Leserin des pädagogisch gestrengen Augsburger Autors fragt sich besorgt, ob er oder sie auch bequem geworden ist, so wie vielleicht Herr K.? Ein sich stets wiederholender Tagesablauf, wohltuend und beruhigend einerseits, aber eben auch eingefahren. Keine Überraschungen. Die immer gleichen Vorlieben beim Essen und in der Auswahl von Büchern und Filmen. Dieselben politischen Gedanken, die man ausschließlich mit Menschen teilt, die genauso denken… Oh.
Es lohnt sich nachzudenken, ob neben all dem Vertrauten und Beständigen, das wir nicht entbehren können, etwas mehr Offenheit die eigene Vitalität stärkt. Neues ausprobieren, anderen Gedanken nachgehen, sich selber hinterfragen – das wehrt geistigem Stillstand und hält einen an Leib und Seele lebendig. Womöglich nutzt es auch dem Teint und man ist nicht genötigt, peinlich berührt zu erbleichen, wenn man auf seine mentale und psychische Unbeweglichkeit hin angesprochen wird.
„Du bist ja noch ganz die Alte!“ Wem mangelnde Veränderung so zugestanden wird, der oder die wird nicht blass im Gesicht, sondern eher rosig vor Freude. Wobei mich persönlich der Begriff „die Alte“ schon auch zum Grübeln bringen würde. Aber klar ist diese Aussage als Kompliment gemeint: immer noch gut aussehend, fit und fröhlich, hellwach, voller Energie und Tatendrang – Senior, Seniorin, wie sie nicht im Buche, sondern in der Werbung stehen.
Dabei ist man in diesem Fall gerade nicht mehr der oder die Alte. Man hat sich verändert, hat an Jahren zugelegt, möglicherweise auch an Gewicht, dafür Haare verloren. Man ist keine Partylöwin mehr und wird schneller müde. Warum dies alles nicht zugestehen? Und statt krampfhaft Zeichen der Veränderung zu leugnen, sie einerseits anzunehmen und sich zugleich über Neues zu freuen, über andere Bedürfnisse und Interessen. Über neue Fähigkeiten, die einem zuwachsen.
Leben ist Veränderung. Das stellt manchmal eine mühsame Aufgabe dar. Aber diese Welt braucht Menschen, deren Geist immer wieder neue Einsicht gewinnt in das Notwendende und deren Hände es dann auch tun. Diese Welt braucht wahrlich keine armseligen Anpasser, sondern Männer und Frauen, die innere Kraft besitzen. Die, in welchem Alter auch immer, noch dazulernen und am Ende weise sind.