Das Tetris-Büro im Chiemgau

von Redaktion

60 Arbeitsplätze gibt es in Stefan Daxenbergers Co-Working-Office bereits. © Haslauer (4)

Truchtlaching – Stefan Daxenberger hätte es sich einfach machen können. Die Schreiner-Lehre und ein Ingenieurstudium hatte er hinter sich, das Familienunternehmen, die Schreinerei Daxenberger, lief gut. Tagsüber Schränke bauen, abends zum Fußballtraining, am Sonntag zum Trachtenverein. Aber der junge Mann wollte wissen, was die Welt zu bieten hat. Deswegen eroberte Stefan Daxenberger für seinen Arbeitgeber, den Ladenbau-Konzern Ganter, die Metropolen. Der Mann aus Truchtlaching – das liegt im Landkreis Traunstein – stampfte Nobel-Shops für Louis Vuitton oder Prada aus dem Boden.

Wenn Daxenberger mal wieder in London oder Washington war, arbeitete er in Co-Working-Offices, also Büroräumen, die sich mehrere Menschen teilen. „Mich hat das Kosmopolitische, vor allem aber die Stimmung in den Büros mit den vielen unterschiedlichen Menschen aus unterschiedlichen Ländern fasziniert“, erinnert sich Daxenberger. So ein Büro wollte er auch daheim haben. Zufällig bot die Gemeinde Seon im Jahr 2020 ein 4000 Quadratmeter großes Grundstück an. Stefan Daxenberger kaufte es für 300 000 Euro, das Grundstück liegt gegenüber dem Familienunternehmen Daxenberger, um dort seine Vision umzusetzen. Der Name: „Patch.Work“. Wie bei einer Patchwork-Familie sollten die Menschen auch im Arbeitsleben zusammenfinden, als Gemeinschaft funktionieren.

Daxenberger setzte sich mit Bruder Bastian, Cousin Simon und Schwester Theresa zusammen, gründete eine Firma mit ihnen und plante das klimafreundliche und nachhaltige „Patch.Work“. Vom Konzept war auch Bürgermeister Martin Bartlweber sofort angetan: „Für unsere Gemeinden ist das Projekt zukunftsweisend.“ Zum Beispiel, weil es in der Region kaum noch Wirtshäuser gibt. In Daxenbergers Bürokomplex kann man frühstücken, Mittag essen, Kaffee trinken. Und wenn Menschen aus Salzburg, Rosenheim und München zum Arbeiten nach Truchtlaching kommen, dann ist das auch eine gute Werbung für die Region. Sogar die Landflucht kann so ein Projekt stoppen: Thomas Kaissl, ehemaliger Bereichsleiter „Umwelt und Wirtschaft“ bei der Naturschutzorganisation WWF, sagt, dass so auch die jungen Menschen im Ort sehen: Hier tut sich was!

Daxenbergers Schwester Theresa (36), die schon ein Dutzend Vorzeige-Häuser im Chiemgau gebaut hat, übernahm die Planung, sie wollte einen Dreiseithof haben. Ihr war es wichtig, dass das Gebäude nachhaltig ist: 80 Prozent des Hofes besteht aus Holz, 20 Prozent aus Beton und Stahl. Die 300 Ladungen an Fichtenholz sind aus dem Wald nebenan: Entfernung 5,39 Kilometer. Strom und Wärme kommen aus der Luftwärmepumpe und den 250 Quadratmetern Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. Noch müssten 40 Prozent dazugekauft werden. „Mein Ziel ist es, dass wir bald mehr Energie produzieren, als wir brauchen“, sagt Theresa, die auch darauf bestand, dass die Außenfassade tiefschwarz ist. Zeitlos, elegant. Noch ist aber nicht alles fertig. In den nächsten Wochen werden zehn Ladestationen für E-Autos installiert. Im Frühling soll alles fertig sein.

Vielfältig ist vor allem auch das Innere. Stefan Daxenberger kann die Einrichtung je nach Bedarf hinundher schieben, wie beim Computerspiel Tetris. So ein Angebot ist einzigartig. Neben 60 Arbeitplätzen, die heute schon ein Steuerberater, ein Grafik-Designer, ein Energie-Manager und ein Führungskräfte-Coach mit sieben Kollegen nutzen, bietet das „Patch.Work“ weitere 140 Plätze an. „Ganz egal, ob eine Psychologin ein Vier-Augen-Gespräch führen oder eine Aktiengesellschaft eine Hauptversammlung machen möchte: Bei uns geht alles!“, erklärt Stefan Daxenberger.

Christiane Gassner ist zuständig für das Rahmenprogramm. Mit Geocaching, Stand Up-Paddeln auf der Alz, Übernachten im Heu-Hotel. „Wenn ich weiß, was die Firma möchte, schnüre ich jedem Unternehmen sein individuelles Paket“, so die 50-Jährige, die 25 Jahre lang Lufthansa-Managerin war. Das Kochen übernimmt Klaus Wurmannstätter, der sich selbst „Chiemsee-Gourmet“ nennt. Er hat in seinem Leben schon 8000 Veranstaltungen geplant und mehr als 2,5 Millionen Menschen bekocht. In Truchtlaching bietet er neue Gerichte an, aber auch Kochkurse. Zum Frühstück gibt es selbst gemachtes Granola und Eier vom Nachbarn, mittags gebeizte Chiemsee-Forelle und nachmittags Kuchen von Tante Luise. Außerdem bietet der Daxenberger-Clan Yoga-Kurse an. Und manchmal Dinner-Abende mit Show-Einlagen.

Stolze 6,5 Millionen hat der Bau gekostet. Der Business-Plan, so Stefan Daxenberger, sehe vor, dass die Gesellschaft schon in drei Jahren schwarze Zahlen schreibt. Der Truchtlachinger ist sicher, dass sein Tetris-Spiel aufgeht: „Wir sind fest davon überzeugt, dass unser Projekt die Kraft hat, die Art und Weise zu verbessern, wie Menschen zusammenarbeiten.“

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