Mein Vater wollte kein Held sein, sagt Ofer Katzenstein über seinen Vater Arie. Die Aufnahme zeigt das spätere Terroropfer am Schliersee. © Privat/ Fam. Katzenstein
Die drei Attentäter wurden freigepresst. © H. Gebhardt
Überlebte schwer verletzt: Pilot Uriel Cohen. © Archiv
Die Kinder Ofer, Tami und Miki (v.l.) mit OB Dieter Reiter vor dem Denkmal. © Yannick Thedens
München – Gegen Ende stockt auch der Dolmetscherin die Stimme. Sie übersetzt die Reden, die drei erwachsene Kinder für ihren Vater halten. Für ihren Vater Arie, der am 10. Februar 1970, vor genau 55 Jahren, in einem Zubringer-Bus am Flughafen München-Riem ums Leben kam. Der junge Mann warf sich auf eine Handgranate, die ein palästinensischer Terrorist gezündet hatte, um Passagiere eines El-Al-Flugs zu töten. Es war der erste Anschlag eines palästinensischen Terrorkommandos in Deutschland – und er ist kaum bekannt. Nun steht am historischen Ort, ein paar Schritte entfernt vom ehemaligen Tower, ein Denkmal der Künstlerin Alicja Kwade. Man habe eigentlich nur an eine kleine Gedenktafel gedacht, sagt Miki Dror-Katzenstein. Jetzt ist es ein großes, würdiges Denkmal. Es zeigt drei Uhren, nachempfunden der Uhr, die damals am Tower hing. Die Zeiger der Uhren am Denkmal sind auf 12.50, 12.51 und 12.53 gestellt – nur vier Minuten dauerte der Anschlag.
Am 10. Februar 1970 warteten drei Palästinenser schon im Transitraum auf die El-Al-Maschine aus Tel Aviv, die auf dem Weg nach London eigentlich nur eine Zwischenlandung in München einlegte. Sie zogen Waffen und eine Handgranate. Der Pilot Uriel Cohen versuchte einen der Attentäter zu stoppen, beim Handgemenge wurde er schwer verletzt wurde. Es gab Explosionen, der damals sehr bekannten Schauspielerin Hanna Maron, die ebenfalls nach London wollte, musste später in der Klinik ein Fuß amputiert werden. Ein anderer Terrorist rannte nach draußen und warf eine Handgranate in den Zubringer-Bus, der die 18 Passagiere wieder zum Flugzeug bringen sollte. Arie Katzenstein und sein Vater Heinz waren schon im Bus. Arie warf sich wohl instinktiv auf die Granate, die zündete und ihn tötete. Andere Passagiere wurden dadurch gerettet, er war der einzige Tote. Die Attentäter überlebten teils verletzt, sie wurden nach nur wenigen Monaten freigepresst. Was aus ihnen wurde, ist unbekannt. Man werde weiter forschen, auch dazu, welche Sicherheitspannen es gab, sagt Dominik Aufleger von der Abteilung Public History der Stadt.
55 Jahre später stehen die drei Kinder Ofer, Tami und Miki Katzenstein am Rednerpult. Im Foyer der Brainlab AG findet eine Feier zum Gedenken an den Anschlag statt. Brainlab ist ein Medizin-Hightech-Unternehmen mit 2400 Mitarbeitern, ihr gehört das Flughafen-Gelände heute. Unternehmensgründer Stefan Vilsmeier hat Denkmal und Gedenkfeier finanziert. Er sagt, er sei nur wenige Kilometer vom Flughafen entfernt aufgewachsen. Aber vom Anschlag habe er erst vor wenigen Jahren erstmals gehört. Das sei „Ihrer Hartnäckigkeit“ zu verdanken, sagt er zu den Kindern von Arie Katzenstein. Der Anschlag werde nun „in das öffentliche Gedenken zurückgebracht“, betont Münchens Kulturreferent Anton Biebl.
OB Dieter Reiter erinnert daran, dass der Anschlag nur der Beginn einer unheimlichen Serie war. Nur drei Tage später brannte das jüdische Altenheim in München – sieben Tote, die Brandstifter wurden nie entlarvt. Eine Synagoge wurde geschändet, von München aus wurde wohl eine Paketbombe aufgegeben, die am 21. Februar 1970 in einem Flugzeug zündete – 47 Tote. „Die Frage liegt nahe“, sagt Reiter, ob man beim Olympia-Attentat im September 1972 „nicht besser hätte vorbereitet sein können.“
Ein alter Freund des Todesopfers meldet sich
Zur Gedenkfeier sind 40 Angehörige gekommen, auch die Tochter von Hanna Maron. „Mein Vater sollte kein Held sein“, sagt Ofer Katzenstein. Am Rande der Gedenkfeier spricht ihn ein 84-jähriger Mann an: Helmut Dietrich hat mit Arie Katzenstein an der Staatsbauschule in München studiert. „Wir waren enge Freunde.“ Auf dem Handy hat er alte Fotos von gemeinsamen Reisen. Nachdem Arie 1966 nach Israel zurückgekehrt war, verloren sie sich aus den Augen. Vom Tod des Freundes hörte er im Radio. Dietrich war erschüttert, als er vor wenigen Tagen auf dem Foto eines alten Notizbuches, das Arie Katzenstein auf der Reise nach London mit sich führte, seinen Namen entdeckte. Offenbar wollte Arie seinen alten Studienfreund kontaktieren. Dazu ist es nicht mehr gekommen.