„Ich war wie im Tunnel“

von Redaktion

Russe gesteht Mord an zwei ukrainischen Soldaten in Murnau

Der Angeklagte versteckt sich am Montag im Landgericht hinter einer Mappe. © Peter Kneffel

Blumen, Kerzen und Bilder von den Toten: So trauerte Murnau um die beiden Soldaten. © Lukas Barth

Murnau – Nationalstolz, Provokation, Kränkungen und viel zu viel Alkohol: Ein Gefühls-Wirrwarr führte im April vergangenen Jahres zu einer grausamen Gewalttat. In Murnau im Kreis Garmisch-Partenkirchen erstach ein Russe zwei ukrainische Soldaten. Seit gestern wird die Tat vor dem Landgericht MünchenII aufgearbeitet. Die Anklage lautet auf Mord. Über seinen Verteidiger Uwe Paschertz räumte der Russe die Tat ein. „Ich bedauere zutiefst, was vorgefallen ist“, sagte der Anwalt für den 58-Jährigen.

Mit einer übergezogenen Kapuze und einem Aktendeckel vor dem Gesicht hatte der Mann den Gerichtssaal betreten. Erst als die Kameras aus dem Sitzungssaal verbannt wurden, zeigte er sein Gesicht. Die Dolmetscherin, die vorsorglich neben ihm saß, brauchte er nicht. Der 58-Jährige spricht fließend Deutsch. Seine Jahre bei der Sowjet-Armee hatte er in der damaligen DDR verbracht.

2014 war er nach Murnau gekommen, arbeitete aushilfsweise bei verschiedenen Unternehmen, bis ihn der Alkohol immer weiter nach unten zog. Als er schließlich im Frühjahr 2024 seine späteren Opfer kennenlernte, hatte er das Gefühl, dass den 23 und 36 Jahre alten Männern langweilig war und sie das Gespräch mit ihm suchten. Die beiden Ukrainer waren wegen ihrer Kriegsverletzungen in der Unfallklinik in Murnau behandelt worden.

An einem Rondell hinter einem Supermarkt-Center traf er die sichtlich vom Krieg gezeichneten Ukrainer. Beide trugen nach schweren Operationen Fixateure an den Armen. Der Angeklagte sprach sie auf ihre Verwundungen an. Fortan trafen sich die drei Männer regelmäßig zum Trinken. Es entwickelte sich eine Art Hass-Liebe. Es wurde gestritten und gelacht. Manchmal wurde es auch laut. Doch es kam angeblich nie zu Handgreiflichkeiten.

Das wundert angesichts der 17 Vorstrafen, die der Vorsitzende Richter Thomas Bott später verlas. Körperverletzungen tauchten mehrfach auf, wie auch vorsätzlicher Vollrausch und verschiedene Straßenverkehrsdelikte. Selbst während einer früheren Haft griff der Angeklagte einen Mithäftling an. Der 58-Jährige verzog keine Miene. Er blieb im Gericht erstaunlich ruhig. Vielleicht auch deshalb, weil er erstmals seit vielen Jahren trocken ist.

An jenem April-Abend war er auf Angriff gepolt. Den gesamten Nachmittag sollen ihn die beiden Männer provoziert haben. Als er jedem eine Dose Bier spendierte, soll der 36-Jährige gesagt haben: „Der alte Mann zahlt.“ Später warf er ihm angeblich vor, nicht so viel zu vertragen. Er nahm ihm die Wodkaflasche weg, ging tänzelnd auf ihn los. „Gebt mir die Flasche, sonst passiert euch etwas“, drohte der Angeklagte. „Du bist Russe, was soll da passieren“, kam es angeblich zurück.

Der Russe ging zu seiner Wohnung und kehrte mit einem Messer zurück. Furchtlos sollen ihn die Ukrainer mit den Worten empfangen haben: „Wie erbärmlich, du brauchst ein Messer.“ Mit wenigen schnellen Stichen verletzte der 58-Jährige die beiden Männer am Hals. Er selber erinnert sich noch: „Ich war wie im Tunnel.“ Ein späterer Alkoholtest ergab bei ihm über zwei Promille. Bei den Opfern waren es über drei Promille.

Dass er die Männer aus Nationalstolz tötete, kam nicht zur Sprache. Seiner Schilderung zufolge habe er nichts gegen Ukrainer. In der Haft helfe er ihnen sogar als Dolmetscher. „Viele Ukrainer sprechen Russisch“, sagte er. Ob er möglicherweise durch den Alkohol psychisch beeinträchtigt war, muss ein Psychiater klären. Einem früheren, höchst umstrittenen Gutachten zufolge, hört der Russe unter Alkoholeinfluss gelegentlich Stimmen, die ihm sagen, schlecht zu sein, wenn ihm Schlechtes widerfahren würde. Der Prozess dauert an.
ANGELA WALSER

Artikel 1 von 11