Blick in die Zukunft? Markus Söder sieht große Chancen in der Forschung zur Kernfusion. © Staatskanzlei
München – Es sei ja schon immer so gewesen. „Während die Preußen erobert haben, haben wir Bayern erforscht“, sagt Markus Söder, heute bayerischer Ministerpräsident, und in dieser Logik sozusagen vorderster Forscher. Als solcher skizziert er am Dienstag, wie der Freistaat bei der Entwicklung und Nutzung der Chancen vorangehen will, die in neuen Kernfusions-Technologien liegen – und wie die Preußen dabei mithelfen sollen, die vom Erobern ja inzwischen auch abgekommen sind.
Zunächst aber geht es Söder nicht um die neue, sondern um die lange bekannte Technik zur Kernenergie-Gewinnung. Deren jahrzehntelange Geschichte ging in Deutschland und Bayern im Frühjahr 2023 vorläufig zu Ende. Mit den Meilern Isar 2 in Bayern, Emsland in Niedersachsen und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg wurden die letzten laufenden Atomkraftwerke abgeschaltet. Dass er das für einen „fundamentalen Fehler“ hält, macht Söder auch am Dienstag wieder klar – und spricht sich für eine „vorübergehende, für die nächsten zehn Jahre mindestens“ Reaktivierung dieser drei AKW aus, um die Energie-Stabilität zu gewährleisten. Alleine könnte Bayern das – auch für das niederbayerische Isar II – nicht. Das Bundesatomgesetz müsste geändert werden. Technisch sei eine Reaktivierung aber „nach den Rücksprachen, die wir mit vielen technischen Experten haben, (…) in diesem und im nächsten Jahr jederzeit noch möglich“, sagt Söder.
Allerdings liegt die Betonung hier auf „vorübergehend“, denn vor allem will Söder den bayerischen Fuß in die Tür bringen, wenn es um die Entwicklung und Prüfung neuer, fortschrittlicher Kernfusion-Reaktoren geht. Das bietet sich schon deshalb an, weil mit dem Max-Planck-Institut für Plasmaphysik eines der weltweit führenden Zentren der Magnet-Fusionsforschung in Bayern steht, findet die Staatsregierung. Bis 2028 sollen nun 100 Millionen Euro in Forschung und Ausbildung an den Hochschulen fließen. Das Geld, das aus den Milliarden-Mitteln für die bayerische Hightech-Agenda stammt, soll unter anderem in den Aufbau neuer Lehrstühle gesteckt werden – zunächst in Erlangen, München und Augsburg, später an weiteren bayerischen Universitäten und gebündelt auf einem Campus. „Nuclear Fusion Technologies“ so soll ein hochschulübergreifender Studiengang heißen, sagt Wissenschaftsminister Markus Blume (CSU).
Doch nicht nur in der Theorie wäre Bayern bereit voranzugehen, sondern auch in der sehr praktischen Forschung. Einen Demonstrationsreaktor zur Erforschung der Kernfusion würden Söder und Blume gerne im Freistaat errichten. Das sei, wie Blume ausführt, allerdings nur zu stemmen, wenn Bundesmittel fließen.
Im Gegensatz zu bisheriger Atomkraft werden bei der Kernfusion die Atomkerne verschmolzen, statt sie zu spalten. Der Schritt zu einer effektiven Energiegewinnung ist der Wissenschaft dabei noch nicht gelungen. Erfolge in Schwerpunktbereichen schüren aber immer wieder Hoffnungen darauf.
Äußerst skeptisch reagieren bei diesem Thema erwartungsgemäß die Grünen. „Markus Söders Rückfall in die Atom-Träumerei ist nicht nur fernab wirtschaftlicher Realitäten, sondern auch verantwortungslos“, kritisiert Fraktionschefin Katharina Schulze. Bei der Frage, wo der Atommüll gelagert werden soll, weiche Söder aus.
Tatsächlich spricht Söder die Müll-Frage am Dienstag auch selbst an, bezieht sich auf „neue Verwertungsmöglichkeiten“. Was er meinen dürfte: Ein Schweizer Unternehmen verspricht eine Lösung, mit der aus Atomabfall Rohstoffe und Krebsmedikamente gewonnen werden sollen. Nur zehn Prozent hochradioaktiver Abfälle verblieben, dazu mittelradioaktive Abfälle, die endgelagert werden müssten. Und statt mehrerer hunderttausend Jahre strahle der Restabfall in einem berechneten Szenario nur noch rund 800 Jahre. Das – laut Söder „ideologisch geprägte“ – Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung hat allerdings Bedenken angemeldet, was die praktische Umsetzung angeht.