Farhad N. mit seinem Mini – gepostet im Netz. © Instagram
Von der Polizei aufgebrochen: die Wohnungstür. © Gautier
Unauffällig: In diesem Mietshaus in München-Solln wohnte der Attentäter. © Sabine Dobel/dpa
Ende eines schrecklichen Tages: Der stark beschädigte BMW Mini wird am Donnerstagabend abgeschleppt. © Matthias Balk/dpa
München – Das Schloss ist weggesprengt, der Türspion abgeklebt. Am Boden überall Splitter. Und an der Tür ein Brett, um das Loch zu verdecken – es entstand, als die Polizei die Wohnung von Farhad N. (24) stürmte. Hinter dieser Tür lebte der Auto-Attentäter, der am Donnerstag mit seinem Mini in eine Verdi-Demo raste. 36 Menschen verletzte Farhad N., einige sehr schwer. Noch immer kämpfen eine Mutter und ihre Tochter (2) um ihr Leben. Am Freitag wurde Haftbefehl wegen versuchten Mordes in 39 Fällen und gefährlicher Körperverletzung gegen N. erlassen. Der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen.
Wenige Stunden nach der Tat stürmten Polizisten die Wohnung in München-Solln. Seit sieben Monaten lebte der Afghane dort in einer Einzimmerwohnung im dritten Stock des tristen Mehrfamilienhauses, sagt seine Nachbarin Kristina. Er hatte die Wohnung von einem Bekannten aus dem Fitnessstudio übernommen. Kristina ist geschockt: „Er war immer so nett. Wir hatten sogar Nummern ausgetauscht – falls wir mal Pakete vom anderen annehmen.“ Aber: Kurz vor der Tat habe sich N. verändert. „Eine Freundin von mir lebt neben ihm. Sie erzählte, dass er einige Tage vor der Tat oft in seiner Wohnung herumschrie.“
Nach Einschätzung von Oberstaatsanwältin Gabriele Tilmann gab es aber keine Anhaltspunkte auf psychische Probleme, die Auswirkungen auf die Tat gehabt hätten. Sie ging gestern „von einer islamistischen Tatmotivation“ aus: Laut Tilmann gab Farhad N. zu, bewusst in die Demonstration gefahren zu sein. Er habe dafür eine „religiöse Motivation“ genannt. Bei der Festnahme habe er „Allahu Akbar“ gerufen. Der Täter bezeichnete sich laut Tilmann als religiös und besuchte eine Moschee – die aber nicht für islamistische Tendenzen bekannt ist. Im Internet folgte er vielen religiösen Accounts.
Ansonsten war Farhad N. unauffällig: Er hatte seit 2021 eine Aufenthaltsgenehmigung der Stadt München. Am Freitag wurde indes bekannt, dass er eine dramatische Fluchtgeschichte „erfunden“ hatte, um Bleiberecht zu bekommen. Der Afghane hatte erklärt, er werde von Mitgliedern einer kriminellen Bande verfolgt, die auch seinen Vater umgebracht hätten. Das hielt das Verwaltungsgericht aber für unglaubwürdig, „detailarm und lebensfremd“, wie es im schriftlichen Urteil vom Oktober 2020 heißt. Der Asylbewerber legte zudem ärztliche Atteste vor, wonach er unter anderem an einer posttraumatischen Belastungsstörung und einer Störung der Impulskontrolle leide. Diese Atteste stammten aber aus dem Jahr 2017. Sie zählten nicht, der Asylantrag wurde letztlich abgelehnt. Allerdings erließ kurz darauf die Stadt München im April 2021 einen Duldungsbescheid und im Oktober 2021 eine Aufenthaltserlaubnis für den 24-Jährigen. Er hielt sich damit zuletzt rechtmäßig in Deutschland auf.
Laut Behörden arbeitete Farhad N. als Ladendetektiv für zwei Firmen und als Türsteher für eine Modeboutique. Er war Bodybuilder, gab den Muskelprotz, posierte im Anzug in teuren Schmuck- und Modeboutiquen. 100 000 Follower hatte der Bodybuilder auf Instagram und Tiktok. Er hat keine Vorstrafen, es gab nur ein Verfahren wegen Arbeitsamtsbetrugs. Der weiße Mini gehörte ihm, sagte LKA-Vize Guido Limmer. Das Rosenheimer Kennzeichen stammt wohl vom Vorbesitzer. Nachbarin Kristina kann sich an das Auto erinnern: „Er hat es auf der Straße vorm Haus geparkt.“
Über Farhad N. lebt Busfahrer Rahman M. „Ich habe ihn vor drei Monaten gefragt: Was machst du beruflich? Er sagte: Arbeitsamt. Und er sagte: Ich habe hier keine Zukunft – aber nach Afghanistan kann ich nicht zurück, da werde ich erschossen.“ Dann muss der ältere Mann an die Opfer denken. „Da waren Kinder“, sagt der siebenfache Großvater mit Tränen in den Augen.