Er koordinierte beim Einsatz die Rettungskräfte: Sönke Lase vom BRK München. © Achim Schmidt
München – Sönke Lase weiß nicht genau, was ihn erwartet, als er am Donnerstagvormittag in der Seidlstraße aus dem Rettungswagen steigt. Vor gut 20 Minuten ist hier ein Auto in eine Menschenmenge gerast. Eigentlich hätte er heute Bürodienst gehabt. Doch schnell war klar, dass vor Ort alle verfügbaren Rettungskräfte gebraucht werden. Die schwer verletzten Menschen sind bereits auf dem Weg in die Krankenhäuser, aber es müssen noch viele mittelschwer und leicht verletzte Personen versorgt werden. Und sehr viele Menschen, die unter Schock stehen, weil sie mitangesehen haben, wie das Auto des 24-jährigen Afghanen in die Gruppe der Demo-Teilnehmer gerast ist. Der 52-jährige Leiter des BRK in München übernimmt die Koordination.
Mehr als 140 Menschen müssen vor Ort betreut und versorgt werden. Lase und seine Kollegen im Rettungsdienst haben viel Erfahrung – auch mit Großeinsätzen wie diesem. So etwas wird regelmäßig trainiert. „Die Professionalität, mit der wir arbeiten, hilft uns, in solchen Momenten zu funktionieren“, sagt er. Für die Einsatzkräfte ist erst mal nicht wichtig, was hier passiert ist. Ob der Autofahrer einen Anschlag geplant hatte oder ob es ein tragischer Unfall war. All das erfahren sie erst viel später. „Wir wussten nur, dass von dem Fahrer keine Gefahr mehr ausgeht“, sagt er. Alles andere interessiert ihn und seine Kollegen erst mal nicht. Vor Ort zählt nur die Versorgung der Verletzten – auch der 24-jährige Afghane war verletzt und musste von den Rettungskräften versorgt werden.
Für die Ersthelfer sind solche Einsätze noch mal deutlich dramatischer, sagt Sönke Lase. Als die ersten Rettungskräfte am Unglücksort ankamen, gab es noch keinen Überblick, wie viele Menschen wie schwer verletzt sind. „Sie hören überall Hilfeschreie – in solchen Momenten ist der Druck besonders hoch.“
Stundenlang ist Sönke Lase am Einsatzort. Er muss den Überblick behalten, Menschen nach der Schwere ihrer Verletzungen kategorisieren, ihnen Einsatzkräfte zuweisen. Erst um 13.30 Uhr kehrt Ruhe ein in der Seidlstraße. Die Verletzten sind mittlerweile in Krankenhäusern, die Menschen unter Schock werden von Notfallseelsorgern und dem Krisendienst betreut oder ebenfalls in Kliniken behandelt. Für Sönke Lase ist es der einzige Einsatz an diesem Tag – weil er für den Bürodienst eingeteilt war. Aber einige seiner Kollegen müssen danach direkt weiter. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt ihnen nicht.
„Jeder hat seine eigenen Bewältigungsstrategien“, sagt Sönke Lase ein paar Stunden nach dem Einsatz. Es sei wichtig, jedem selbst zu überlassen, welche Hilfen er nutzen möchte. Beim BRK gab es abends eine Nachbesprechung. „Wir machen Angebote für die, die sie brauchen und nutzen möchten“, betont Lase. Er selbst war schon häufig bei großen und dramatischen Einsätzen wie diesem dabei. „Ich kann mich gut auffangen“, sagt er. Trotzdem begleiten ihn die Szenen noch Tage. „Niemand von uns kann alle Emotionen abschalten.“
KATRIN WOITSCH