Das strahlende Erbe an der Isar

von Redaktion

Ein Besuch im Atommüll-Zwischenlager, wo Castoren aus Großbritannien erwartet werden

Seit 22 Jahren dabei: der Betriebsleiter des Zwischenlagers Markus Luginger.

Von außen fast eine normale Lagerhalle: das Zwischenlager für die Castoren. Vorne links das Einfahrtstor. © Chr. Mick/BGZ (3)

Direkt am Fluss: Die abgeschalteteten Atommeiler Isar 1 (1979-2011) und Isar 2 (1988-2023). © Picture Alliance

Aufgestellt in Reih und Glied: die blau lackierten Castor-Behälter enthalten hochradioaktiven Atommüll.

Niederaichbach – Der Sicherheitsmann von Securitas trägt eine Handfeuerwaffe am Hosenbund. Einmal Abtasten mit dem Handdetektor, Passkontrolle, Drehkreuz-Einlass mit Sonderausweis, dann steht man auf dem Betriebsgelände des stillgelegten Atomkraftwerks Isar 2. Weiter geht‘s. Noch mal ein Sicherheitsmann, noch mal mit Handdetektor, noch mal der Ausweis. Dann drückt Betriebsleiter Markus Luginger einen grünen Knopf, eine 40 Zentimeter dicke Stahltür öffnet automatisch. Dann noch eine rote Stahltür, noch eine, und noch eine. Nach der fünften Tür darf man einmal kurz um die Ecke gucken. Und da stehen sie, aufgereiht einer neben dem anderen, sechs Meter hoch, blau und beige lackiert: Castor-Behälter mit den Hinterlassenschaften von 35 Jahren Atomzeitalter in Niederbayern: hochradioaktiver Atommüll, strahlend bis in alle Ewigkeit.

Ein Castor ist warm, er strahlt ein bisschen

Castoren sind massive Stahlbehälter, bleiverstärkt, erprobt gegen freien Fall, Feuer, hohen Wasserdruck. Helium und Glas im Castor sollen verhindern, dass die Hölle entweicht: Radioaktivität. Ist der Castor sicher? Sehr sicher, sagt Luginger. Aber natürlich gibt es Zweifler. Nach zehn Sekunden schiebt Luginger die Tür wieder zu. Sicher ist sicher. Überall sind Kameras, sogar die Internationale Atomenergie-Organisation IAEO hat welche installiert. Es gilt das „Minimierungsgebot“, hatte der Pressesprecher vorher gesagt. Niemand solle länger als notwendig neben einem Castor stehen, ihn gar anfassen. Trotz aller Abschirmung ist an der Außenhülle der Castor-Behälter Gamma- und Neutronenstrahlung messbar.

In der Halle und auch außerhalb gibt es Messstellen, das Landesamt für Umwelt veröffentlicht sie täglich im Netz. Die Messwerte sind gering, liegen unter allen Grenzwerten – aber: Es ist eben auch nicht nichts. Es ist besser, nicht dauerhaft neben einem Castor zu stehen.

Von außen schaut das Zwischenlager für den Atommüll, das da direkt neben den bisherigen Atommeilern Isar 1 und Isar 2 gebaut worden ist, wie eine normale Lagerhalle aus. Es täuscht: Die Mauern der Halle sind 85 Zentimeter dick, die Decke 55 Zentimeter. Es soll gegen Unvorhergesehenes schützen, Terrorattacken etwa. Flugzeugabstürze? „Wir werden nicht die Garantie haben, dass die Lagerhalle hält“, sagt der Pressesprecher. „Aber entscheidend ist, dass der Castor hält.“ Außerdem: Man könne ja auch mal in andere Länder schauen: „In Amerika stehen die Castoren einfach ungeschützt in der Wüste.“

Innen in der Halle ist es totenstill, kein Arbeiter ist zu sehen. Wer zu den Castoren will, muss ein Messgerät tragen. Es gilt das Zwei-Personen-Prinzip, sagt Atommüll-Fachmann Luginger. Falls mal jemand umkippt. Die Castoren sondern Wärme ab, etwa wie eine aufgedrehte Heizung. Denn die abgebrannten Atombrennstäbe in den Castoren sind zwar zur Stromerzeugung in Atomkraftwerken nicht mehr nutzbar, das Kernmaterial arbeitet aber weiter. So entsteht Nachzerfallswärme. Man kann sich stundenlang in Fachliteratur vertiefen, die Fachwelt diskutiert über die potenzielle Versprödung, die Nachzerfallsleistung, den Innendruck von Castoren und Hüllrohren, in denen das Kernmaterial eingeschweißt ist. Die entstehende Wärme jedenfalls wird über Lüftungsklappen in der Halle nach außen abgeleitet, sagt Luginger. Eine Überhitzung sei nicht zu befürchten.

Atommüll in Niederbayern, das ist eine lange Geschichte. Im Zeitraffer erzählt sie Stefan Mirbeth, der Sprecher der Bundes-Gesellschaft für Zwischenlagerung, kurz BGZ. Seit 2007 darf Atommüll an der Isar gelagert werden. Das Zwischenlager ist bis 2047 genehmigt. Es soll den Atommüll aufnehmen, der in Isar 1 und 2 entstanden ist.

1900 Castoren mit hochradioaktivem Atommüll sind durch den Betrieb der 14 deutschen Atomkraftwerke angefallen – mit etwa 17 000 Tonnen abgebrannter, aber potenziell tödlicher Atombrennstoffe. In der Halle auf der Flur der Gemeinde Niederaichbach sollen 125 oder 126 Castoren gelagert werden. 88 sind schon da. In den nächsten Wochen werden weitere sieben Castoren aus einer Wiederaufbereitungsanlage in Großbritannien erwartet. Sie kommen mit dem Schiff und dann per Bahn. Das Bahngleis führt direkt in die Halle – der Anlieferzeitpunkt ist Verschlusssache. „Wir haben uns darauf vorbereitet und die Standplätze ausgesucht“, sagt Luginger. Zum Ladevorgang gibt es in der Halle zwei riesige Kräne. Es gab auch eine „Kalt-Erprobung“ im Jahr 2023, wo das Umladen getestet wurde. Mehr wird nicht verraten.

Das Zwischenlager soll so lange bestehen, bis es ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll gibt. Problem: Das wird noch Jahrzehnte dauern, bis mindestens 2046, eventuell sogar bis 2068. Der Landshuter Landrat Peter Dreier (FW) hätte daher gerne, dass die Castoren nach Gorleben/Niedersachsen abtransportiert werden, wo es ebenfalls ein Zwischenlager gibt. Doch das wurde abgelehnt. Die Castoren werden etliche Jahre in Niederbayern bleiben, die BGZ geht davon aus, dass die Genehmigung für das Zwischenlager verlängert werden muss.

Luginger, der Maschinenbau studiert hat, ist seit 22 Jahren im Atomgeschäft. Lange Jahre war der 46-Jährige Schichtleiter bei Isar 1 und 2, 2020 wechselte er zur BGZ. Sein Job ist zukunftssicher, so viel ist klar. Aus dem jetzt wieder aufflammenden Streit um den Sinn von Atomkraftwerken will er sich lieber raushalten. Nur so viel: „Man geht doch nicht zum Atomkraftwerk, wenn man die Technologie total ablehnt.“ Klar wird aber auch, dass die BGZ-Leute den Vorschlag zur Wiederinbetriebnahme von Isar 2 für sinnlos halten. Man müsse doch nur rübergehen zu den Leuten drüben am Kraftwerk. Vor fast zwei Jahren wurde es als einer der drei letzten Atommeiler in Deutschland abgeschaltet.

Die Demontage hat begonnen

Nun hat die Demontage begonnen. Auch dabei fällt tonnenweise Atommüll an, der schwach- oder mittelradioaktiv strahlt. Bauschutt etwa, alte Maschinenteile, Schutzkleidung der Mitarbeiter. All das wird in Tonnen gestopft und kommt in die sogenannte Bereitstellungshalle. Das ist eine Lagerhalle von ähnlichen Ausmaßen wie das Zwischenlager, das die BGZ betreibt, sie steht nur 100 Meter weiter auf dem Gelände der früheren Atommeiler. Zuständig ist hier der frühere Kraftwerks-Betreiber PreußenElektra. Gegen Ende des Jahrzehnts, wenn es gut geht, soll dieser Müll in den Schacht Konrad bei Salzgitter abtransportiert werden – das stillgelegte Bergwerk ist als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle bestimmt. Man denkt also in langen Zeiträumen hier in Niederbayern. Zum Schluss ist noch ein Foto vor dem Einlasstor erlaubt. Sprecher Mirbeth drängt zur Eile. „Wenn wir hier länger stehen, kommt ein Wachmann vorbei.“ Sicher ist sicher.
DIRK WALTER

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