München – Unter ihre kurzen Videos auf der Internet-Plattform TikTok schreiben ihre Fans Sätze wie „Heidi for Kanzlerin“, „Ihre partei wird meine nr 1!!“ und „Love her“. Heidi Reichinnek sieht ein bisschen aus wie ein Popstar, coole Klamotten, Tätowierungen, hippe Frisur, ist Bundestagsabgeordnete und Spitzenkandidatin der Linken. Und die bayerische Jugend findet sie und das Parteiprogramm offenbar so super, dass fast jeder sechste (16,8 Prozent) die Linke wählen würde. Ein „Überraschungserfolg“, heißt es beim Bayerischen Jugendring (BJR), der die U18-Wahl in Bayern koordiniert hat.
Das ist eines der Ergebnisse der Jugendwahl, die am Freitagabend, gut eine Woche vor der Bundestagswahl, zu Ende gegangen ist. Seit 1996 gibt es diese Wahlsimulation in ganz Deutschland. Und obwohl die Vorbereitungszeit heuer aufgrund der vorgezogenen Wahl kurz war, spricht der BJR von einer „beeindruckenden Resonanz“: In knapp 600 bayerischen Wahllokalen, die in Schulen, Jugendzentren, aber auch an Bahnhöfen und in Fußgängerzonen eingerichtet worden waren, haben 52 000 junge Menschen unter 18 ihr Kreuz gemacht. Zum Vergleich: Vor der letzten Bundestagswahl 2021 waren es 70 000 Probe-Wähler. Am Montagmittag wurden die endgültigen Ergebnisse veröffentlicht.
Was wieder einmal deutlich wird bei der U18-Wahl: Kinder und Jugendliche wählen anders als die Erwachsenen. Aber von einem ganz anderen Stern sind die Ergebnisse auch nicht. Die aktuelle bundesweite Sonntagsfrage von Forsa sieht CDU/CSU bei 30 Prozent, die AfD als zweitstärkste Kraft (20 %), gefolgt von SPD (16 %) und Grünen (13 %). Die Linke kommt auf 7 Prozent. Für Bayern gelten wohl etwas andere Zahlen, allerdings gibt es aus dem Freistaat keine aktuellen Umfragen, die nach dem Messerangriff in Aschaffenburg und dem Anschlag in München vorige Woche erhoben wurden. Beide Ereignisse dürften Wahlentscheidungen beeinflussen.
Wie sieht es bei der U18-Wahl aus? Die CSU ist bei den jungen Bayern nicht ganz so beliebt, aber mit 21,2 % stärkste Kraft. Das liegt, so sagt BJR-Präsident Philipp Seitz, an der ländlichen Prägung Bayerns – aber auch an der „Bindekraft als Regierungspartei“. Der zweite Platz geht wie bei den Erwachsenen an die AfD, hier mit 17,5 % (in Oberbayern liegt sie übrigens bei knapp 14 %). Und dann kommt schon die Linke. Deren Erfolg erklärt BJR-Präsident Seitz tatsächlich mit der extrem erfolgreichen Kampagne der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek und auch der Partei in den Sozialen Medien. Allerdings hätte die Linke auch Themen gesetzt, die für die Jugendlichen relevant seien: Sicherheit, Frieden, Kampf gegen Extremismus und hohe Mieten. Während die AfD laut Seitz ihre Internetkampagnen sogar noch erfolgreicher führt und so viele Jugendlichen erreicht, habe die in Teilen als rechtsextrem eingestufte Partei außer dem Thema Angst vor sozialem Abstieg in Verbindung mit Migration „kaum politische Angebote“. Unabhängig von der politischen Ausrichtung betont Seitz, dass die etablierten Parteien TikTok und Co. stärker in den Fokus nehmen müssen. Laut einer Studie des Zentrums für Generationenforschung beziehen 52 Prozent der Deutschen unter 25 Jahren politische Information ausschließlich aus Sozialen Medien.
Für den Jugendring widerlegt die U18-Wahl „das zuletzt häufig verbreitete Klischee, dass die Jugend generell nach rechts rücken würde“. Bei den letzten Wahlen in der Europäischen Union etwa hatten Rechtspopulisten vor allem auch bei den Jüngeren zugelegt. Doch die aktuellen U18-Ergebnisse für die AfD liegen unter dem Bundestrend. Und die Linke wäre bei Kindern und Jugendlichen bundesweit sogar Wahlsieger (20,8 %).
Bayerns Jugend wählt extrem – die Ergebnisse der U18-Bundestagswahl 2021 sahen sowohl AfD als auch die Linke knapp über der Fünf-Prozent-Hürde. Das geht zulasten der Grünen, die bei der U18-Wahl 2021 in Bayern noch fast 19 % erreichten und jetzt nur noch auf 10 % kommen. Müsste die Partei nicht mehr junge Stimmen abräumen? Die Vermutung von Seitz: Klimaschutz ist zwar ein zentrales Thema für junge Menschen, aber die Enttäuschung darüber, was die Grünen als Regierungspartei dazu erreicht haben, sei groß. Fest steht für die Organisatoren der Jugendwahl: „Wer heute nicht ernst genommen wird, wendet sich morgen ab.“
C. ZIMNIOK