Der goldene EWS-Gürtel geht immer an den Champion im Club.
Club-Chef Christof Haas (links) ist stolz auf seine Mitglieder.
Furcht einflößender Blick: Sandra Palic macht es ihren männlichen Gegnern nicht leicht.
Schmerz und Show: Sandra Palic und George Badur im Ring des Erdinger Wrestling Clubs. © Christian Riedel (4)
Fraunberg – In dieser Männersoap ist sie eine der wenigen Frauen. „Ich bin Mangelware“, sagt Sandra Palic, fester Blick, schwarzes Top mit Glitzerfäden. Mit ihren muskulösen Armen hievt sie den amtierenden Champion schreiend über die Schulter. George Badur, alias Boris Pain, fliegt durch die Luft und knallt mit dem Rücken auf den Boden. Es kracht, der Ring wackelt. Dann haut sie ihm mit der Hand auf die nackte Brust. Klatsch! „Du schlägst wie ein Mädchen“, scherzt er. Sie lachen. Aber gleich kommt die Revanche.
Palic und Badur sind Mitglieder im Erdinger Wrestling Club EWS. Das Trainingszentrum liegt in einer Scheune in der Gemeinde Fraunberg im Kreis Erding. „Wir haben auch einen mobilen Ring“, erklärt EWS-Chef Christof Haas. Diesen karren sie von Match zu Match. In Bayern gibt es vier Veranstalter von Wettkämpfen. „Wir sind die größten“, sagt der 33-Jährige. Früher war Wrestling eine Randerscheinung. Inzwischen kommen bis zu 500 Zuschauer zu den bayerischen Shows. Großveranstaltungen wie die Berlin Bash in 2024, ausgerichtet von der amerikanischen World Wrestling Entertainment (WWE), dem weltweit größten Veranstalter der Branche, erreichen die breite Masse. Die Szene boomt.
Auf den Trip gekommen ist Haas vor 20 Jahren. „Wir waren Kinder“, erzählt der Erdinger. Als Teenager schaute er amerikanisches Wrestling im Fernsehen, trotz Mamas Verbot. Der bekannte Wrestler Hulk Hogan war sein Idol. Irgendwann bauten Haas und seine Jungs im Garten einen Ring auf. Sie gründeten einen Verein, später ein Kleinunternehmen. Lange suchten sie einen Raum. „Keiner wollte uns haben.“ Randsportarten haben kaum Platz in Sportzentren. Aber EWS fand eine Nische.
So wie Sandra Palic. Sie rennt im Ring umher, prallt mit dem Rücken in die Seile. „Wer das nicht übt, sieht hinterher wie ausgepeitscht aus“, sagt sie. Im Ring trägt die 29-Jährige den Namen Nikki Steel. Nikki, von Nike, der Göttin des Sieges. Steel für Stahl, weil sie so stark ist. „Ich war schon immer eine kräftige Dame“, erzählt die Münchnerin. In ihrer Kindheit in Australien spielte sie Basketball, ging Surfen. Sie kommt aus dem Bodybuilding. Nimmt an Wettbewerben im Steinheben teil. Wrestling macht sie seit zwei Jahren. Ein Kumpel schleppte sie zu einer EWS-Show. „Die Stimmung war cool.“ Mit den Wrestlern verstand sich Palic gut. Sie ist es gewöhnt, sich in Männerdomänen zu behaupten. Sie studierte Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitet als Projektleiterin für einen Militärdienstleister. „Männer sind oft eingeschüchtert, wenn Frauen unabhängig sind.“ Aber das ist ihr egal.
Im Ring spielt sie stets die Böse. „Da kann man Frust ablassen.“ Haas erklärt: „Wrestling ist Theater.“ Eine Soap für Männer. Es gebe Kostüme, Rivalitäten, Böse und Gute, ein Drehbuch. „Man ist wie ein Schauspieler.“ Wichtig ist: „Der Schlag muss echt wirken.“ Da kommt der Kodex ins Spiel, genannt Kayfabe. Dieser Begriff steht für eine Übereinkunft zwischen Wrestlern und Promotern, dass Ereignisse im Ring echt aussehen. Obwohl sie gespielt sind. Früher wurde dieser Kodex streng befolgt. Das Internet habe den Mythos aber enthüllt.
Zu einem Theater gehören Requisiten: So zerren die Erdinger Wrestler für ihre Shows Klappstühle, Leitern, Stacheldraht oder Gitarren in den Ring. Sie haben sogar einen Sarg. Haas legt sich rein. Bei manchen Kämpfen wird der Verlierer im Sarg rausgetragen. Auch wenn alles Show ist: „Es gibt Sachen, die tun richtig weh“, weiß Haas. Und Verletzungen. Aber das gehört zum Showgeschäft.
Schmerz ist bei Boris Pain, 1,88 Meter groß, 100 Kilo schwer, Programm. „Der Schmerz aus dem Süden“, lautet sein Spitzname. „Pain will cut you down“, steht auf seinen blauen Shorts. Grobe Übersetzung: „Pain wird dich umhauen.“ Mehr trägt der 26-Jährige aus Neufahrn bei Freising im Ring nicht. Früher spielte er den Guten. Dann verwandelte er sich in den Bösen. Damit fühlt er sich wohler. Das Wrestling ist für ihn mehr als ein Hobby: „Mein Ziel ist, davon leben zu können“, sagt er und stemmt Nikki Steel wie ein Brett über seinen Kopf. Die Zuschauer für sich zu gewinnen, ist dabei ein Schlüssel zum Erfolg. „Wenn sie einen umjubeln, ist es gut“, erklärt er. „Wenn sie einen ausbuhen, auch.“ Nicht beachtet zu werden, das ist der Schrecken aller Wrestler. Eine Männersoap braucht eben Publikum.
MARLENE KADACH