Neustart für viele Ukrainer

von Redaktion

Job-Vermittlungen gelingen häufiger – dank der Sprachkurse

Anna Harnyk (2.v.r.) mit ihren Kollegen vom Krankenhaus in Weilheim. Dort arbeiten viele Ukrainer. © Tauchnitz

Neustart in der Küche des Augustiner Klosterwirts: Tetiana Nahoybetska arbeitet wieder in ihrem erlernten Beruf. © Y. Thedens

München/Weilheim – Tetiana Nahoybetska hat in ihrer Heimat Odessa immer in großen Küchen gearbeitet. Dort, wo es meist laut und hektisch zugeht, wo jede Anweisung sofort erledigt werden muss. Früher hätte sie sich nicht vorstellen können, dass es möglich ist, in einem großen Team zu kochen, ohne ein Wort zu verstehen. Heute weiß sie: Es geht.

Die 40-Jährige ist im März 2022 vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet. Ihr Mann ist ebenfalls Koch und war in Österreich, als der Krieg begann. „Wir hatten viel Glück“, sagt Tetiana. Sie lernten damals Gregor Lemke kennen, den Inhaber des Augustiner Klosterwirts. Er bot ihnen an, dass sie in seiner Küche arbeiten können. Obwohl die beiden weder Deutsch noch Englisch sprachen. „Ich hatte keine Bedenken“, sagt Lemke. Seine 130 Mitarbeiter stammen aus 30 Nationen. „Unter ihnen sind Ukrainer, Russen, Iraker, Kroaten – es hat noch nie Probleme gegeben.“ Gute Mitarbeiter werden immer gebraucht, sagt Lemke. Er war überzeugt, zwei gute Köche gefunden zu haben. Also nahm er die Bürokratie für die Arbeitserlaubnis gerne auf sich. Er hat es nicht bereut.

Seit drei Jahren arbeiten Tetiana Nahoybetska und ihr Mann nun im Augustiner. Mittlerweile sprechen beide so gut Deutsch, dass viel gelacht wird, wenn sie mit den anderen Köchen zusammen Schweinsbraten oder Kässpätzle vorbereiten. „So anders als die ukrainische Küche ist die bayerische gar nicht“, findet sie. Natürlich hat sie ein paar Rezepte neu kennengelernt. „Aber der Umgang mit Lebensmitteln ist in jeder Küche gleich.“ Lemke hat den beiden längst einen unbefristeten Arbeitsvertrag gegeben. Er sagt: „In der Gastronomie kann Integration wirklich gut funktionieren.“

Doch die wenigsten Ukrainer haben es so schnell geschafft, in Bayern in ihren erlernten Berufen Fuß zu fassen. Die aktuellsten Zahlen, die der Bundesagentur für Arbeit vorliegen, sind von September. Von den 132 389 Ukrainern im erwerbsfähigen Alter, die in Bayern leben, sind 49 700 in Beschäftigung. 84,7 Prozent davon haben sozialversicherungspflichtige Jobs. Die Beschäftigungsquote der Ukrainer lag im September damit bei 36,4 Prozent. Die meisten von ihnen arbeiten im verarbeitenden Gewerbe oder in der Gastronomie. 90 409 Ukrainer haben im September Bürgergeld bezogen. 12 821 Ukrainer besuchten in diesem Monat einen Integrationskurs, 2702 berufsbezogene Deutschkurse.

„Nach einem bis anderthalb Jahren in Deutschland kann man bei den Ukrainern an Arbeit denken“, sagt Jan Riediger, Chef des Jobcenters in Weilheim. Als Erstes müssten die Geflüchteten die Grundkenntnisse der deutschen Sprache erwerben. Bis dahin sei eine Vermittlung in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse der Schlüssel zum Erfolg. So könnten die Ukrainer Erfahrungen sammeln, während ihre Deutschkurse noch laufen. Vergangenes Jahr konnten 176 Ukrainer im Kreis Weilheim-Schongau in Arbeit vermittelt werden. Fast dreimal so viele wie 2023. Geringfügige Beschäftigungen fanden 187 Ukrainer. Das liege daran, dass viele inzwischen ihre Deutschkurse abgeschlossen haben, sagt der Jobcenter-Chef. Dasselbe sagt Dominik Blaß vom Starnberger Jobcenter. In seinem Landkreis waren vergangenen Juli 354 Ukrainer sozialversicherungspflichtig beschäftigt und 82 geringfügig. „Daran sieht man den positiven Effekt der Integration. Die Tendenz geht stark nach oben.“

Zahlen dazu, wie viele Ukrainer es geschafft haben, in ihre alten Berufe zurückzukehren und sich Abschlüsse anerkennen zu lassen, liegen nicht vor. Im Vorteil sind die, die in Berufen gearbeitet haben, in denen hier dringend Fachkräfte gesucht werden. So wie Anna Harnyk. Die 46-Jährige ist Krankenschwester. Sie flüchtete vor knapp drei Jahren mit ihrer Mutter und ihrer elfjährigen Tochter aus der Ukraine. „Ich habe kein Wort Deutsch gesprochen“, erzählt sie. Aber sie lernte Ukrainer kennen, die im Krankenhaus in Weilheim arbeiteten. Dort bekam sie auch ohne Sprachkenntnisse sofort eine Stelle – erst als Pflegehelferin. Vor und nach ihren Schichten lernte Anna Deutsch, heute spricht sie die Sprache sehr gut. „Ich bin dankbar, für die Geduld, die meine Kollegen mit mir hatten“, sagt sie. Mit viel Gestik habe die Kommunikation funktioniert, bei den Patienten war sie anfangs nie allein. Inzwischen ist ihr ukrainisches Diplom in Deutschland anerkannt. Sie musste dafür eine Prüfung machen. Anna Harnyk hat all das nur mit viel Fleiß geschafft. Und weil sie ihre Mutter hatte, die für ihre Tochter da sein konnte, wenn sie arbeiten musste. Auf ihrer Station arbeiten zehn Ukrainer. Gut die Hälfte davon sind geflüchtet. Nicht alle hatten das Glück, dass sie sofort arbeiten konnten. „Sie mussten warten, bis sie einen Betreuungsplatz für ihre Kinder gefunden hatten.“
KATRIN WOITSCH

SEBASTIAN TAUCHNITZ

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