Auch Markus Söder ist auf Instagram aktiv. © Sven Hoppe
Alice Weidel, AfD-Spitzenkandidatin. © dpa
Selfie mit Heidi: Die Linke Reichinnek trifft auf Social Media einen Ton, der bei jungen Wählern offenbar gut ankommt. © Michael Matthey/pa
München – Heidi Reichinnek weiß, wie man Stimmen holt. Am Tag vor der Wahl veröffentlicht die Spitzenkandidatin der Linken ein Video auf Instagram. Thema: Tauben. Die 36-Jährige fordert „Nieder mit dem Taubenhass“, es ist noch die Rede von einem dringend benötigten Stadttauben-Management. Hä? Dann wird es doch noch ernster: So unsichtbar wie die Probleme der Tauben seien auch die realen Probleme der Menschen, „über die keiner reden will“. Miete, Lebensmittelpreise, Pflege. 44 000 Menschen haben dem schrägen, aber lustigen Spot ein virtuelles Herzerl verpasst. Alle lieben plötzlich die Linke?
Keine andere Partei war bei jungen Wählern so erfolgreich. Jeder vierte 18- bis 24-Jährige hat sein Kreuz für die Linke gemacht. Auf Platz zwei das andere Extrem: 21 Prozent für die AfD. Die junge Generation wählt die Ränder. Bayerische Zahlen gibt es laut Statistischem Landesamt noch nicht. Aber bundesweit gilt: Diesen Trend haben Studien, Umfragen und die U18-Wahl vorhergesagt. Auch Rüdiger Maas, Chef des Instituts für Generationenforschung in Augsburg, ist nicht überrascht. Die Analyse ist trotzdem dramatisch.
Auffällig ist nämlich, dass die beiden Parteien und ihre Spitzenkandidatinnen Heidi Reichinnek und Alice Weidel auch in den Sozialen Medien Spitzenreiter sind. Gewinnt man bei den Jungen die Wahlen allein mit coolen Videos auf TikTok oder Instagram? Rüdiger Maas sagt schlicht: „Ja.“ Und: „Das ist fatal.“ Der Experte für die Generation Z, also die Jahrgänge 1995 bis 2009, weiß: 42 Prozent beziehen ihre Informationen ausschließlich über Soziale Medien. „Wir haben die Inhalte aller Parteien abgefragt, da war fast nichts vorhanden.“ Social Media treffe auf eine Generation, die vieles politisch nicht einordnen kann. Darauf haben, so Maas, die Parteien der Mitte noch keine Antwort – und nicht alles lässt sich auf knackige Video-Botschaften reduzieren. Union und SPD kommen bei den 18- bis 24-Jährigen auf 13 sowie 12 Prozent.
Aber welche Motive lassen die jungen Wähler rechts oder links wählen? Laut Maas gibt es eine einfache Formel: Bei AfD-Wählern sind die Ängste am größten, genauer geht es um die Angst vor finanziellem Abstieg und Migration. Wer die Linke wählt, hat vor allem Angst vor Populismus, Rassismus und sozialer Ungerechtigkeit. Die Linke profitiert laut Maas stark von der Schwäche der Ampel-Regierung. Und dass die SPD in der Migrationsfrage schärfer geworden ist, schrecke ab. Im linken Spektrum sei nur noch die Linke übrig. Ähnlich ist es bei der AfD im Verhältnis zur Union.
Auffällig ist auch das Abrutschen der FDP, sie kommt bei den jungen Wählern nur auf 5 Prozent – 2021 waren es 23. Maas erklärt, dass damals das Thema Nachhaltigkeit angesagt war. Eigentlich eine grüne Spezialität, aber die FDP habe damals den jungen Wählern eine Kombination aus Nachhaltigkeit und Luxus versprochen. Das verfing – aber nicht lange. Auch die Grünen haben 13 Prozent der jungen Wähler verloren und landen bei 10. Wo sind die Anhänger der Fridays-for-Future-Bewegung? „Das war Zeitgeist“, sagt Maas. Einer, der etwa sechs Jahre hielt, ungewöhnlich lange. Heute spiele er keine große Rolle mehr.
Der Soziologe Michael Corsten sieht eine Reaktion auf eine „kumulative Krisensituation“: „Die junge Generation ist quasi im Schatten globaler Krisenmomente groß geworden. Das hat für tiefe Verunsicherung gesorgt und führt dazu, dass ihr politischer Suchprozess unberechenbarer und ihr Wahlverhalten flexibler geworden ist.“ Bei den Jüngeren gebe es womöglich weniger Vorbehalte gegenüber Parteien, die mehr oder weniger offenkundig an problematische historische Vorbilder anknüpften. „Bei vielen Älteren mag eine Hemmschwelle bestehen, eine Partei zu wählen, die aus SED hervorgegangen ist oder Assoziationen an den Nationalsozialismus weckt. Im Bewusstsein vieler Jungwähler scheinen diese geschichtlichen Bezüge schwächer zu sein“, sagt Corsten. Auch Psychologe Rüdiger Maas geht davon aus, dass es für die junge Generation noch normaler wird, die AfD zu wählen. Das werde die Politik der nächsten Jahre und spätestens die übernächste Bundestagswahl 2033 extrem beeinflussen. Maas hat nur ein Rezept gegen eine Radikalisierung rechts und links: politische Bildung. Und bessere Kampagnen der Parteien der Mitte.
CARINA ZIMNIOK