Blaue Kleckse im schwarzen Meer: die AfD-Hochburgen im Bayerwald. © Ippen.Media
Der Urlaubsort Neukirchen beim Heiligen Blut ist eine der AfD-Hochburgen Bayerns. © IMAGO/MARTIN ERDNISS
München/Hohenwarth – Der Bürgermeister möchte lieber gar nichts sagen. Nein, sagt Xaver Gmach (CSU), Bürgermeister der 1950-Einwohner-Gemeinde Hohenwarth, zu einem Interview sei er nicht bereit. „Mehrere Nationen“ leben friedlich zusammen, schiebt der Bürgermeister noch via WhatsApp nach. Danach herrscht Funkstille.
Hohenwarth ist eine beschauliche Tourismus-Gemeinde tief im Bayerwald. „Unser Wahrzeichen: Die Natur“, heißt es auf der Homepage. Campingplatz, Wanderwege, Ausflugsberge. Augenscheinlich ein Idyll – und eine AfD-Hochburg. Nach den Daten unseres Portals Ippen-Media war der Zweitstimmenanteil der teils rechtsextremen Partei hier so hoch wie in keiner anderen der 2056 Gemeinden und Städte Bayerns: 39,2 Prozent, ein Plus von 20,4 Prozent. Kein Einzelfall indes: Es gibt eine ganze Reihe von blauen Klecksen in der ansonsten schwarz gefärbten politischen Landkarte Bayerns. In insgesamt 13 Gemeinden lag die AfD bei der Bundestagswahl bei den Zweitstimmen vorne. Zwölf dieser Orte liegen im Bayerwald – einer in Schwaben.
Es sind kleine Tourismus-Orte wie Neukirchen beim Heiligen Blut (36,2 Prozent), Arrach (38,9) oder Kirchdorf im Wald (36,1) – Orte, die Christian Bernreiter gut kennt. Der bayerische Verkehrsminister aus Deggendorf ist Niederbayer durch und durch. Ein Faktor seien Abstiegsängste, die in der Region „tief verwurzelt“ seien, sagt er zu den AfD-Erfolgen in Niederbayern (25,8 Prozent) und in der angrenzenden Oberpfalz (23,1). Das sei auch historisch zu erklären. „In Waldkirchen gab es früher eine Winterarbeitslosigkeit von 45 Prozent, die Leute haben fünf Monate gestempelt. Das wissen natürlich auch die Jungen. Wenn sie jetzt sehen, dass die Zahnradfabrik Passau mit 4000 Mitarbeitern Kurzarbeit einführt, wenn Werke Stellen abbauen wie Rodenstock in Regen oder Knaus Tabbert im Landkreis Freyung-Grafenau, dann werden diese Ängste wieder befeuert.“
Eine Szene im Wahlkampf ist ihm da besonders in Erinnerung: „Es gibt junge Leute bei einem namhaften Unternehmen, die sagten mir wortwörtlich: Haut ab, ihr seid das falsche Blau – die wollen die blauen von der AfD.“
Dennoch ist die Wucht des AfD-Erfolgs auch für Bernreiter überraschend. Im Wahlkreis Deggendorf holte die Partei 29,2 Prozent – Platz 1 in Bayern. Aber auch in einer ganzen Reihe von mittelgroßen Städten schaffte es die Partei auf über 20 Prozent. Nicht nur in Ostbayern. Neu-Ulm, Ansbach, Coburg, Hof, Altötting, Traunstein und Ingolstadt – die Liste ist lang. Bernreiter weist speziell auf das Ergebnis in Dingolfing hin: Dort lag der AfD-Spitzenkandidat und Landeschef Stephan Protschka bei den Erststimmen auf Platz 1. „Da gibt es auch Zusammenhänge mit dort wohnenden Russlanddeutschen, von denen viele leider zur AfD neigen“, vermutet Bernreiter. Dass Protschka selbst innerhalb der AfD zu den ideologischen Rechtsextremen zählt, interessierte da weniger.
Eine Erklärung für den Erfolg auch dies: Die AfD macht Nichtwähler zu Stammwählern. Deutschlandweit ist das so. Die sprunghaft gestiegene Wahlbeteiligung (plus 6,1 Prozent) zahlte vor allem auf das Konto der Rechtsradikalen ein: 1,8 Millionen Nichtwähler machten ihr Kreuz bei der AfD. In Niederbayern ist dieser Effekt schon länger bemerkbar, seit 2017 gebe es eine „sprunghaft gestiegene“ Wahlbeteiligung, sagt Bernreiter.
Früher hatte der Wahlkreis Deggendorf eine Beteiligung, die mindestens zehn Prozent unter dem Bundesschnitt lag. „Damals, 2017, gab es über 60-Jährige, die das erste Mal in ihrem Leben wählten und zwar AfD.“ Das habe sich von Wahl zu Wahl gesteigert.
Ein Patentrezept gegen weitere AfD-Erfolge hat Bernreiter auch nicht. Gegen Aussagen wie „Für Ausländer habt ihr Geld, aber für die Pflege meiner Mutter muss ich zuzahlen“, die er original im Wahlkampf hörte, sei schwer zu argumentieren. „Ich bin da ganz beim Ministerpräsidenten: Die neue Bundesregierung ist wirklich die letzte Patrone der Demokratie, wir müssen den Umkehrschwung hinbekommen bei Migration und Wirtschaftsentwicklung.“
DIRK WALTER