Die Riesenbraut von Emmering

von Redaktion

Bettelhochzeit: nur alle elf Jahre

Auf die Leiter für den Kuss: das Hochzeitspaar. © sro

Emmering – Martin Finsterwald, gestandener Metzger, Wirt und 137 Kilo schmal, trägt neuerdings öfter pinken Lippenstift. „Die Schminkerei ist eine Katastrophe“, schimpft der 51-Jährige und lacht. Aber es hilft nix, da muss er durch. Beziehungsweise sie: Dieser närrischen Tage firmiert Finsterwald als „Finsäna, dickbauchige Fleischhackerin“ und ist in der Winzgemeinde Emmering im Kreis Ebersberg der Faschings-Superstar. Dafür muss er, derzeit sie, aber heiraten, vor allen, auf einem Misthaufen. Und zwar als Braut. „Das passiert dir nur einmal im Leben“, sagt Finsäna, wirft die blonden Perückenlocken in den Metzgernacken, rückt den Silikonbusen unterm Dirndl zurecht und fügt an: „Das ist schon eine Ehre.“

Seit Monaten versetzt die anstehende Bettelhochzeit die 1500-Einwohner-Gemeinde in den Ausnahmezustand. In Emmering gibt es zwar nicht einmal mehr einen Bankomaten, dafür aber vier Gastwirtschaften und dutzende Vereine, die momentan alle nur diesen einen Termin am kommenden Sonntag im Kopf haben. Die Bettelhochzeit findet traditionell nur alle elf Jahre statt, umso mehr lassen es die Emmeringer dann krachen – und tausende Besucher aus der Region schauen beim Höhepunkt zu, der Vermählung um 13.13 Uhr samt Faschingszug.

Alois Zacherl schmachtet unter der Krempe seines Trachtenhuts an seiner Zukünftigen empor. „Sie ist ein Prachtexemplar“, sagt der 46-Jährige schmunzelnd. Zurzeit heißt er „Alisee, kabeziagerder Oberhausl“, ist im eigentlichen Leben Elektriker und spielt im Emmeringer Faschingswahnsinn den Bräutigam. Er hat die Hälfte an Schwungmasse wie seine Angebetete, die ihn zudem um ein gutes Stück überragt. Monatelang blieb die Identität des Paares so geheimnisumwittert wie der Verbleib des Bernsteinzimmers. Finsterwald und Zacherl mussten ihre besten Freunde und sogar die eigene Mutter anlügen, um nicht aufzufliegen, bis sie beim formellen Scheidungstheater des Paars von 2014 im November erstmals gemeinsam auf die Bühne traten.

Wenn ein klassisch-glitzerndes Faschingsprinzenpaar die Karikatur des blaublütigen Adels ist, sind die Eheleute der Bettelhochzeit gewissermaßen die Karikatur der Karikatur: Ende des 19. Jahrhunderts war Bayern ein Königreich und das Wort Dragqueen noch lange nicht erfunden. Aber die arme Landbevölkerung, die sich keine mondänen Faschingsbälle leisten konnte, steckte einen Hünen in Frauenkleider, stellte einen schmächtigen Bräutigam dazu, das Paar auf den Misthaufen und feierte Vermählung. Überliefert ist die Emmeringer Bettelhochzeit erstmals 1929 und gehört damit nicht nur zu den größten, sondern auch zu den ältesten ihrer Art. Fast 100 Jahre später ist der Brauch so lebendig wie eh und je.
JOSEF AMETSBICHLER

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