Klage gegen Spritz-Kartell

von Redaktion

Pflanzenschutz: Bauern fordern 200 Millionen Euro zurück

Pflanzenschutzmittel verteilt ein Landwirt auf einem Feld. Jahrelang sollen Bauern zu viel dafür bezahlt haben. © Weigel/dpa

München – Jahrelang haben Landwirte zu viel Geld für Pflanzenschutzmittel bezahlt – weil Großhändler die Preise abgesprochen haben. Doch jetzt wehren sich die Bauern, viele davon aus Bayern: In einer der größten Sammelklagen Deutschlands fordern 3200 Bauern Ersatz für die Schäden in Höhe von über 200 Millionen Euro, davon sind 833 Landwirte aus Bayern. Das „Unilegion Bauernbündnis Pflanzenschutz“ hat für sie Klage bei der Kartellkammer des Landgerichts Dortmund eingereicht. Eigentlich war das schon deutlich früher geplant. „Aber das ist so groß geworden“, sagt Katharina Fröhlich, Chefin der Unilegion GmbH mit Sitz in München. Immer mehr Landwirte hatten sich der Klage angeschlossen.

Zum Hintergrund: Das Bundeskartellamt hat 2020 Bußgelder über 154,6 Millionen Euro gegen acht Großhändler von Pflanzenschutzmitteln verhängt, unter anderem gegen die BayWa AG München. Die ist Europas größter Agrarhändler und muss alleine 69 Millionen Euro bezahlen. Seit 1998 bis zum Zeitpunkt der Durchsuchung im März 2015 hatten die Unternehmen jeweils im Frühjahr und Herbst ihre Preislisten für Pflanzenschutzmittel abgestimmt. Laut der Klageführerin Unilegion geht der Schaden durch die künstlich erhöhten Preise bei den deutschen Landwirten in die Milliarden. Ein Teil davon soll den Landwirten wieder „rechtmäßig erstattet“ werden. Die Klage wurde gegen die Agravis Raiffeisen AG aus Münster, einen der größten Kartellanten, eingereicht – dieses Vorgehen ist bei Kartellprozessen üblich. Unilegion rechnet damit, dass die anderen Kartellanten „dem Verfahren beitreten werden“, so die juristische Formulierung. Klar: Agravis wird nicht der Sündenbock für alle beteiligten Großhändler sein wollen – und die Rechnung alleine bezahlen. Agravis teilte mit, dass es nicht um verbindliche Preise gegangen sei – die tatsächlichen Verkaufspreise würden zwischen Käufer und Verkäufer stets individuell verhandelt. Den Klägerinnen und Klägern sei kein Schaden entstanden. Man begrüße die nun anstehende gerichtliche Klärung. Die Baywa äußerte sich auf Anfrage unserer Zeitung nicht.

Der Aufwand für die Sammelklage war gewaltig. Zunächst schlossen betroffene Landwirte einen Vertrag mit der Unilegion GmbH ab. Dadurch gaben sie den Auftrag, den Prozess für sie zu führen. Dann ging es für viele auf den Speicher oder an den Aktenschrank – alte Unterlagen und Rechnungen sichten. Denn die Bauern müssen nachweisen, wie viel sie für die Pflanzenschutzmittel in den Jahren 2007 bis 2015 bezahlt haben. „Unilegion hat über 600 000 solcher Rechnungen erhalten und alle darin enthaltenen Einkaufsposten ausgewertet“, heißt es. Heraus kam, dass die klagenden Bauern in dem Zeitraum über eine Milliarde Euro für vom Kartell betroffene Pflanzenschutzmittel ausgegeben haben – ergibt laut Unilegion den Schaden von über 200 Millionen Euro. „Für jeden einzelnen dieser Einkäufe haben unsere Teilnehmer einen zu hohen Preis gezahlt, während sie als Landwirte insgesamt einem hohen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt waren“, sagt Unilegion-Chefin Katharina Fröhlich. „Es wird Zeit, dass sie dieses Geld zurückerhalten.“

Für die Bauern entstehen keine Kosten. Unilegion finanziert sich über einen britischen Prozessfinanzierer. Hat die Klage Erfolg, werden von dem erstrittenen Geld erst die Gerichts- und Verfahrenskosten bezahlt, dann erhält die Unilegion 20 bis 30 Prozent – der Rest wird auf die Bauern verteilt. Im Fall einer Niederlage trägt Unilegion das Kostenrisiko.

Der Bayerische Bauernverband sagt zu der hohen Beteiligung an der Klage: „Angesichts der Zahl von insgesamt rund 100 000 Mehrfachantragstellern und damit Bewirtschaftern in Bayern ist die Zahl der Betriebe, die sich der Sammelklage angeschlossen haben, nicht überraschend.“ Man habe die vorangegangenen Infoveranstaltungen auch unterstützt. Zu den Erfolgschancen äußert sich der Verband aber zurückhaltend: „Ob die Klage Erfolg haben wird, ist im Moment offen. Kosten entstehen über den eigenen Aufwand hinaus für die Betriebe nicht.“
CARINA ZIMNIOK

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