Die gekappten Kabel im Schaltkasten. © OK Bergbahnen
Gefälscht: das unechte Fahndungsplakat. © Polizei
Die Bergbahn am Söllereck: Der Familienberg wird jedes Jahr von rund 380 000 Gästen besucht. © OK Bergbahnen
Oberstdorf – Überall in Oberstdorf hingen die Plakate. Darauf bittet die Polizei um Hinweise zu einem sexuellen Übergriff auf einen Achtjährigen am Dorfspielplatz. Zu sehen: zwei Fahndungsbilder von einem jungen Familienvater, jeder kennt ihn in dem Allgäuer Ort: Er ist Betriebsleiter der Oberstdorfer Bergbahn AG. Doch das Polizeiplakat ist gefälscht, täuschend echt – und Teil einer Hass-Kampagne gegen das Unternehmen. Der Vorfall ereignete sich im August 2024. Doch der Betrieb wird seit Jahren Opfer verschiedener Attacken. Die Betreiber wissen sich nicht mehr zu helfen. Und das liegt auch an dem jüngsten Vorfall.
Am ersten Märzwochenende bestieg „ein bislang unbekannter Täter“ nachts eine Stütze der Söllereckbahn, die zu der Bergbahn gehört. So steht es im Polizeibericht. Der Täter durchtrennte mehrere Kabel in dem Schaltkasten. Als am nächsten Morgen Wintersportler auf den Berg fahren wollten, ging erst mal nichts.
Die Verantwortlichen sind erschüttert: Zum „wiederholten Mal“ sei es zu einem Vandalismusvorfall gekommen, diesmal sei „kritische elektronische Infrastruktur“ betroffen. Henrik Volpert, der Bergbahn-Vorstand, fordert von den Behörden eine „lückenlose Aufklärung und entschlossenes Handeln“. Für die Bahnbetreiber steht der Täter längst fest: ein junger Mann aus dem Ort. Sein Motiv, so hat er es mal vor Gericht gesagt: Hass auf Tourismus und die Bergbahn.
Vorstand Volpert hat nach dem Kabel-Vorfall einen Brief an den bayerischen Innenminister geschrieben. Volpert schreibt darin, dass die Staatsregierung die neue Söllereckbahn 2019/2020 mit knapp acht Millionen Euro als touristisches Leuchtturmprojekt gefördert hat. Doch: „Seit dem Neubau werden das Söllereck und weitere Einrichtungen von einem rechtsradikalen, einheimischen Straftäter regelmäßig vandalisiert und terrorisiert.“ Er sei um Sicherheit und Gesundheit seiner Gäste und Mitarbeiter „zutiefst besorgt“.
Der Mann, um den es geht, wohnt laut Volpert in unmittelbarer Nachbarschaft zur Bergbahn. Der touristische Betrieb finde teilweise auf dem Grundbesitz der Familie statt, die Bedingungen seien aber vertraglich geregelt. Trotzdem sei der Sohn „ein erklärter, aggressiver Gegner des Bergbahnbetriebs“. Mehrfach sei er vom Amtsgericht Sonthofen wegen Sachbeschädigungen, Beleidigungen und weiterer Delikte rechtskräftig verurteilt, zuletzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung. Weil er die Autoreifen des Betriebsleiters mehrfach zerstochen hat, darf er sich dessen Wohnort auf 100 Meter nicht nähern. Zivilrechtlich muss der junge Mann dem Betriebsleiter Schmerzensgeld zahlen, in Raten – das macht er auch. Aber er hört offenbar nicht auf, die Bergbahn zu attackieren. Seit September kam es laut Volpert erneut zu Straftaten. Es seien wieder Reifen zerstochen worden. Mit seinem Traktor sei der Mann direkt vor die Kasse gefahren und habe einen Mitarbeiter beleidigt. Betriebseinrichtungen der Bergbahn seien mit Hakenkreuzen beschmiert, Ticketautomaten beschädigt worden.
Besonders im Fokus steht der Betriebsleiter: Die gefälschten Fahndungsplakate hingen direkt vor seiner Wohnung. Andere Straftaten fanden in unmittelbarer Umgebung der Familie statt. Ein anderer Mitarbeiter, so Volpert, befindet sich aufgrund der psychischen Belastung bereits im Dauerkrankenstand. Die Kollegen würden jeden Tag zwischen Wut, Ohnmacht und Verzweiflung schwanken, da die Taten für den jungen Mann ohne Konsequenzen bleiben, er „nach wie vor auf freiem Fuß“ ist.
Die Staatsanwaltschaft Kempten bestätigt, dass die Ermittlungen zu den gefälschten Fahndungsplakaten abgeschlossen seien, ein „hinreichender Tatverdacht“ gegen den Beschuldigten liege vor. Er soll außerdem einen weiteren Mitarbeiter beleidigt und Wasser aus dem Speichersee gestohlen haben. Demnächst könnte es zu einem Gerichtsverfahren kommen, bis dahin gelte die Unschuldsvermutung. Ein weiteres Verfahren, in dem es um Sachbeschädigung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gehe, sei noch nicht abgeschlossen. Auch wegen der Sabotage der Bahn Anfang März werde noch ermittelt. Die Polizei prüft außerdem einen Zusammenhang mit weiteren Taten: So wurden Anfang November eine Schrankenanlage und ein Kassenhäuschen mit schwarzer Farbe beschmiert. Auf die Deko-Gondel einer Skischule im Ort wurde ein Hakenkreuz aufgesprüht. Und an zwei Fahrzeugen wurden Reifen zerstochen. Aus dem Innenministerium heißt es, man sei besorgt über die Geschehnisse. In einer Demokratie sei es zwar erlaubt, unterschiedliche Meinungen zu vertreten. Wenn das jedoch zu starfbaren Handlungen führe, werde der Staat keine Toleranz zeigen.
Bei der Bergbahn hofft man auf schnelle Erfolge. Denn, so Volpert: „Es besteht begründeter Anlass zur Sorge, dass es zeitnah wieder zu Straftaten kommen wird.“ Und: „Hiervor möchten wir ausdrücklich warnen.“
CARINA ZIMNIOK