Ein Wachtmeister führt Said K. (23) zur Anklagebank – er muss für mehr als zwei Jahre ins Gefängnis.
Rentner Günter F. (86) im Amtsgericht. Er sagte gegen den Betrüger aus, dessen Hinterleute per Schockanruf Geld von ihm abzocken wollten. © S. Jantz
München – Seine rechte Hand stützt er lässig auf seinen Gehstock. Günter F. ist schon 86 Jahre alt. Angst vor Kriminellen? „Habe ich ganz bestimmt nicht“, sagt der Rentner und lächelt. Insgesamt 185 000 Euro wollten Telefon-Betrüger von ihm abzocken – doch Günter F. war schlauer und schaffte es, die Polizei zu benachrichtigen. So gelang es, Anfang Oktober 2024 ein Bandenmitglied festzunehmen. Seine Geschichte erzählte der schlaue Senior jetzt vor dem Amtsgericht.
„Papa, Papa, ich habe einen schlimmen Unfall verursacht und muss ins Gefängnis“, habe sich mittags gegen 12.45 Uhr eine Frauenstimme am Telefon gemeldet. „Das war der erste Anruf an diesem Tag“, sagt Günter F. Die Masche des Schockanrufs kannte der 86-Jährige zum Glück schon – hier versuchen Betrüger, ältere Menschen zur Zahlung einer angeblichen Kaution zu bewegen, die für ihr Kind gedacht ist, das angeblich einen Menschen totgefahren hat. Ermittler wissen: So eine Nachricht setzt Senioren dermaßen unter Stress, dass sie oft alles tun würden, um ihren Liebsten zu helfen – in Wahrheit verlieren sie oft ihr gesamtes Erspartes an Betrüger, die den Schockmoment gezielt ausnutzen und mit der Betrugsmasche jährlich in München Millionenbeträge ergaunern.
Nicht so bei Günter F.: „Ich habe den Anruf mit meinem Handy aufgezeichnet und mit dem Handy meiner Frau dann noch die Polizei verständigt“, erzählt der 86-Jährige. Kurz darauf trafen Beamte bei ihm ein. Gemeinsam legten sie die Bande rein. Dem Mann am Telefon erzählte Günter F., er müsse erst nachsehen, wie viel Bargeld er zu Hause habe – und log vor, es seien 20 000 Euro. Die sollte er auf Anweisung der Gangster zunächst live am Telefon nachzählen. „Ich raschelte mit ein paar kleinen Scheinen, aber das hat der Anrufer geglaubt.“ Im Hintergrund plante die Polizei schon den Zugriff, der dann sechs Stunden später gelang.
„Bis dahin hatten die Gauner 25 Mal bei mir angerufen“, sagt Günter F. Denn immer wieder sollte er vor die Tür gehen. „Das Wohngebiet hatte die Bande genau inspiziert“, sagt er. Den vereinbarten Betrag sollte der Senior schließlich in einer Tüte vor seiner Haustür in Eichenau übergeben. Zu dritt rückten die Betrüger an: Laut Staatsanwaltschaft blieb einer im Auto sitzen und hielt telefonisch Kontakt zu seinen Hinterleuten, einer sicherte die Umgebung ab und einer holte das Geld ab. Dachte er jedenfalls. Denn in die Tüte packte Günter F. nur Zeitungen und eine Flasche. Der Mann hatte „ganz nasse Hände und rannte mit der Tüte sofort los“, sagt der 86-Jährige.
Doch einen anderen, nämlich Said K. (23), konnten die Beamten festnehmen – ihm wurde gestern der Prozess gemacht. Vor Gericht versuchte sich der Abholer noch rauszureden: Er sei zu dem Haus gebracht worden und wusste angeblich nicht, dass dort ein Verbrechen geschehe. Er sei „das erste Mal“ gewesen, dass er „so etwas“ gemacht habe.
Doch diese Version glaubte ihm die Staatsanwaltschaft nicht. Vielmehr habe Said K. eine „zentrale Rolle“ bei dem Betrugsversuch gespielt und engen Kontakt zu seinen Hinterleuten gehalten, die er als „Mama“ in seinem Telefonbuch eingespeichert hatte – Funkdaten belegen zudem, dass der 23-Jährige am Tatort war. Ihn verurteilte das Amtsgericht gestern zu zwei Jahren und fünf Monaten Knast. Bei Abholern kennt die bayerische Justiz kein Pardon: Sie werden mit mindestens einem Jahr Haft bestraft.
„Das war schon der dritte Betrugsversuch bei mir“, sagt Günter F. „Aber diese Burschen lernen es scheinbar nicht.“
ANDREAS THIEME