Lokführer Renis Hübner macht charmante und humorvolle Ansagen. Er ist seit 2000 Lokführer bei der S-Bahn. © Yannick Thedens
Renis Hübner war erst sechs Jahre alt, da wusste er schon, dass er einmal Lokführer werden will. Als Teenager hätte er sich auch eine Karriere als Radio-Moderator vorstellen können. Nun hat es der 48-Jährige aus Petershausen im Kreis Dachau geschafft, seine beiden Berufswünsche zu verbinden. Denn seine Durchsagen in der S-Bahn sind legendär. Im Interview gibt er ein paar Kostproben.
Herr Hübner, was sagen Sie Ihren Fahrgästen, wenn die Bahn minutenlang im dunklen Tunnel steht?
Dann sage ich: „Wenn Sie links und rechts aus dem Fenster schauen, dann können Sie den urbanen Charme unserer Stammstrecken-Tunnelwände bewundern.“ Ich habe noch einen anderen Spruch, wenn es mal wieder etwas länger dauert, der geht so: „Verehrte Fahrgäste, neulich traf ich im Dienstgebäude am Ostbahnhof meinen S-Bahn-Chef. Er fragte mich: Wie versüßen Sie Ihren Fahrgästen die Zeit, wenn Sie eine größere Verspätung haben? Ich antwortete ihm: Bei Verspätungen über 20 Minuten singe ich ein Lied. – Der Chef schaute mich an und wollte unbedingt eine Kostprobe. Ich fing also lauthals an zu singen. Er runzelte die Stirn, rollte mit den Augen. Und Sie werden es nicht glauben: Seit diesem Tage hatte ich nie mehr größere Verspätungen als 20 Minuten.“
Leider kriegen Sie ja keine Reaktionen von den Fahrgästen, oder?
Doch, aber zeitverzögert. Ich sehe viele Fahrgäste, die mich am Ende ihrer Fahrt anlächeln, manche loben mich und bedanken sich für die nette Zeit, die ich ihnen beschert habe. Das ist einfach nur schön und ist ein bisschen Kompensation für meinen anderen, früheren Traumjob Radio-Moderator neben dem Lokführer.
Wann fallen Ihnen Ihre Sprüche ein?
Ganz verschieden. Im Dienst oder außerhalb. Man muss halt nur wissen, in welcher Situation was passt. Neulich ist mir zwischen Poing und Markt Schwaben allerdings ein Gedicht eingefallen. Weil ich diese Standard-Band-Ansagen selbst zu unpersönlich finde.
Und wie ging das Spontan-Gedicht?
Sie müssen wissen, dass in Markt Schwaben Richtung Erding der letzte Zugteil abgehängt wird. Das habe ich so beschrieben: „Erquickend und labend erreichen wir an diesem Abend uns‘ren nächsten Halt Markt Schwaben. Dort endet dann der letzte Wagen. Zur Weiterfahrt, so sei es drum, da steigen Sie nach vorne um.“ Ich bin selbst mein eigener Kunde und fahre von meiner Heimat Petershausen zum Ostbahnhof, wo grundsätzlich der Dienst beginnt. Und ich habe Freude an persönlicher Ansprache und finde diese unpersönlichen Stimmen vom Band einfach irgendwie unangenehm. Offenbar bin ich da nicht allein.
Was raten Sie den Fahrgästen, wenn‘s mal wieder nicht vorwärtsgeht?
Lächeln. Der von mir hochverehrte Karl Valentin hat mal sinngemäß gesagt: „Ich freue mich, wenn es regnet. Denn wenn ich mich nicht freue, dann regnet es trotzdem.“ Das ist eine Art Lebensmotto für mich. Wir haben begrenzte Zeit auf der Welt, wir müssen das Schönste aus diesem kostbaren Geschenk machen. Und glauben Sie mir: Wir Lokführer finden es auch nicht toll, wenn nichts vorwärtsgeht. Und wir können nichts dafür. Das wissen auch die allermeisten Passagiere. Wir ernten nur ganz wenige Stinkefinger oder weitere Gesten, wenn wir mit großer Verspätung in den Bahnhof einfahren. Die allermeisten Passagiere in München sind einfach toll.
Nicht unverschämter als früher?
Nein, aber ungeduldiger und gestresster. Das ist unserer Zeit geschuldet. Zu meiner Zeit gab es Baumhäuser statt Handys. Und München hat großen Zuwachs, es fahren viel mehr Züge, die Verspätungen sind häufiger als vor 20 Jahren, das ist nur logisch. Aber München ist immer noch friedlich und die schönste Stadt der Welt.
Haben Sie denn Lieblingsstrecken?
Die Strecken nach Wolfratshausen und nach Geltendorf. Da fahren Sie richtig schön in die Berge rein, es gibt Wiesen, Felder, Seen – traumhaft. Vor allem in der Früh, wenn die Sonne aufgeht. Das ist Oberbayern von seiner schönsten Seite.
Für die Morgenfahrt muss Ihr Wecker wohl sehr früh klingeln…
Um drei Uhr morgens. Die S-Bahn steht schon da, der Kollege von der Nachtschicht hat den Zug gecheckt und Probleme an die Leitstelle gemeldet. Ich fahre als Passagier vorne bis zum Ostbahnhof mit. Dann beginnt meine Schicht. Und das noch 19 Jahre lang. Aber ich werde bestimmt danach noch weiterarbeiten.