Als die Amerikaner Bayern erreichten

von Redaktion

Ende März 1945 überschritt die US Army den Main – „Festung“ Aschaffenburg

Endphaseverbrechen: Der Wehrmachts-Soldat Friedel Heymann wurde noch am 28. März gehängt. US-Soldaten waren fassungslos. Das Foto wurde von der Familie freigegeben.

Als der Krieg zu Ende ging: Passanten vor dem zerstörten Aschaffenburger Hauptbahnhof. © Stadtarchiv, US Army/NARA

Aschaffenburg – Was ihnen bevorstand, ahnten viele Bürger von Aschaffenburg wohl schon am 5. März 1945. An diesem Tag wurde die Stadt am Main per „Führerbefehl“ zur „Festung“ erklärt und erhielt einen „Kampfkommandanten“, Emil Lamberth, der in aller Eile volle Gefechtsbereitschaft herstellen sollte. 5000 Mann stark, glich diese Truppe mit kaum ausgebildeten Ersatz- und Ausbildungseinheiten, aufgefüllt mit Volkssturm und Reservisten, eher einem „Sammelsurium“, wie der Historiker Christian Müller schreibt. Die Kämpfe begannen am 25. März 1945 kurz nach 9 Uhr, als erste US-Panzer vom Beobachtungsposten im Aschaffenburger Stadtschloss Johannisburg gesichtet wurden. Kurz vor einer Mainbrücke begannen die ersten Feuergefechte. Dabei war Aschaffenburg schon zuvor durch mehrere schwere Luftangriffe – allein der am 21. November 1944 forderte mindestens 344 Tote – gebeutelt worden.

Deutschland im März 1945 – das war, wie der britische Historiker Ian Kershaw in seinem Buch „Das Ende“ schreibt, nur noch ein Torso. Mitte Dezember 1944 hatten die Amerikaner im Westen den Westwall erreicht. Anfang März wurde Köln befreit und der deutsche Machtbereich „auf einen schmalen Schlauch“ von Norwegen bis zur Adriaküste geschrumpft, wie ein entgeisterter Joseph Goebbels in sein Tagebuch notierte. Doch es gab keinen Versuch von innen, den Krieg abzukürzen – nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 fehlte es in der Wehrmacht an einem geeigneten Rädelsführer, der eine erneute Widerstandsaktion organisiert hätte. So blieb den Alliierten nichts anderes übrig, als deutschen Boden bis auf den letzten Zentimeter zu erobern – wobei fanatische Parteigänger Hitlers „in ungebrochener Götterdämmerungsmentalität“ (Kershaw) Blutvergießen bis zuletzt provozierten.

So auch in Aschaffenburg. Neun lange Tage dauerten die Kämpfe in den Stadtteilen – aufgepeitscht durch den Kampfkommandanten Lamberth, einen Fanatiker, der Kampf bis zur letzten Patrone forderte, sowie durch zwei Emissäre des Hitler-Vertrauten Martin Bormann, die in einem „Sondereinsatz der Parteikanzlei in frontbedrohten Gebieten“ jeden Versuch der Kapitulation vereiteln sollten. In der Jägerkaserne wurde ein Standgericht eingerichtet, das 40 Urteile fällte – darunter auch ein Todesurteil gegen Leutnant Friedel Heymann, der zu Unrecht der Fahnenflucht bezichtigt wurde. Heymann wurde am Schild eines Cafés mitten in der Stadt aufgeknüpft – eines jener sogenannten Endphaseverbrechen, die auch andernorts, etwa in Regensburg oder Ansbach, die Bevölkerung in Angst versetzte. Heymann ist bis heute ein Begriff in der Stadt. Er wird durch einen Straßennamen gewürdigt, es gibt, wie am kommenden Freitag, auch Gedenkfeiern.

Das A und O bei der Eroberung der Stadt war die Besetzung der Mainbrücken, was den Amerikanern nur unter hohen eigenen Verlusten gelang. Die GI mussten, etwa im Stadtteil Schweinheim, auch heftige Häuserkämpfe überstehen, ehe am Ostersonntag 1000 deutsche Soldaten in US-Gefangenschaft gerieten. Am 3. April gegen 6.30 Uhr entsandte Lamberth einen Parlamentär, der über die Kapitulation verhandeln sollte – doch das lehnte der Befehlshaber der Amerikaner, Colonel O‘Brien, jetzt ab. Zweieinhalb Stunden später kapitulierte Lamberth und fuhr anschließend durch die Stadt, um verbliebene deutsche Truppenteile darüber zu informieren. Um 13 Uhr war die Stadt vollständig unter US-Kontrolle. „Aschaffenburg ging verloren“, meldete der Wehrmachtsbericht lapidar.

Für die Amerikaner war die Eroberung der ersten Stadt auf bayerischem Boden nur eine Etappe. Es ging dann Schlag auf Schlag. Am 20. April kapitulierte Nürnberg, zehn Tage später München. Als Letztes erreichten US-Truppen am 5. Mai Kreuth. Bayern war vom Nazijoch befreit.
DIRK WALTER

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