Halbzeit. Dreieinhalb Wochen der Passions- und Fastenzeit sind vorüber. Drei kommen noch, bis es endlich Ostern ist. Wer sich in Askese übt, etwa auf Alkohol oder Süßigkeiten verzichtet oder die eigene Mentalität erfolgreich auf verbesserungsbedürftige Schwachstellen überprüft, der hat schon mal richtig was geschafft. Grund zur Freude.
Eine solche Gefühlslage markiert der kommende Sonntag, der im kirchlichen Sprachgebrauch Lätare heißt, „Freue dich!“. Freundlich wird er auch „kleines Ostern“ genannt. Allerdings geht es in der biblischen Passionsgeschichte nach diesem Zwischenhoch nicht munter vorwärts. Sondern verflucht steil nach oben ans Kreuz und tief runter ins Grab. Erst dann kommt das gute Ende, der Ostermorgen.
Bei solch miesen Aussichten besser kein kleines Ostern? In heftigen Zeiten wie diesen kein Lächeln riskieren – es wird ja eh nur noch schlimmer? Das kann man machen – in Resignation oder Verzweiflung versinken. Alle möglichen Menetekel an die Wand oder in Tiktok werfen, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Krisen- und Passionszeiten bringen zutage, welche Haltung zu Leben und Freude, zu Gefahr und Tod wir haben.
Ich bin eine große Freundin des kleinen Ostern. Davon, dass, wie es mancherorts üblich ist, in den Kirchen an Lätare die Textilien im Kirchenraum, die Paramente, rosa sind. In das Dunkelviolett der Passion mischt sich kurzzeitig strahlendes Weiß. In ernsten Zeiten braucht man etwas, das einen lächeln, sogar aus der Tiefe lachen lässt – und wenn es nur für Minuten ist. Hilde Domin hat in ihrem Gedicht „Bitte“ geschrieben:
„Wir werden eingetaucht / und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen, / wir werden durchnäßt / bis auf die Herzhaut. / Der Wunsch nach der Landschaft / diesseits der Tränengrenze / taugt nicht, / der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, / der Wunsch, verschont zu bleiben, / taugt nicht. /Es taugt die Bitte, …. daß wir aus der Flut, / … immer versehrter und immer heiler / stets von neuem / zu uns selbst / entlassen werden.“
Ich werde versuchen, das Gedicht auswendig zu lernen – und es so lange, bis ich es hoffentlich kann, auf Papier mit mir zu führen. Denn es lehrt Sinne und den Verstand, die Wirklichkeit mit offenen Augen anzusehen, so, wie sie ist. Und zugleich nicht den Mut sinken zu lassen, sondern nach kleinen und großen Ostern zu fahnden, wo immer man sie entdecken kann.