Im Justizpalast (v.l.): IfZ-Leiter Andreas Wirsching, Moderator Jan Ruhkopf, Autorin Ana Lena Werner und Minister Georg Eisenreich. © MJu
München – Unter dem Titel „Demokratische Kultur und NS-Vergangenheit. Politik, Personal, Prägungen in Bayern 1945 bis 1975“ sind am Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) neun Studien entstanden. Sie nehmen in den Blick, wie stark Bayerns Verwaltung nach 1945 noch von alten Nazis geprägt war – nicht nur von Personen, die etwa an NS-Verbrechen beteiligt waren, sondern auch von tradierten Handlungsmustern. Nun ist die dritte Studie als Buch erschienen – Ana Lena Werner, keine Juristin, sondern Historikerin, untersuchte Bayerns Nachkriegsjustiz und stellte die Ergebnisse im Münchner Justizpalast vor.
Es gilt als gesichertes Wissen, dass Richter und Staatsanwälte nach 1945 relativ ungeschoren davongekommen sind. Die Autorin differenziert dies. Sie hat 69 Personalakten ausgewertet, allesamt von hohen Juristen im bayerischen Justizministerium. 69 Männer, keine Frau – und sehr viel Kontinuität. Eine Neuerfindung der Justiz nach 1945 gab es nicht, vielmehr wollte man einfach weitermachen. Allerdings wurde anfangs durchaus darauf geachtet, dass alte Nazis nicht in „Schlüsselstellungen“ der Justiz kamen. Nach einigen Jahren jedoch ließ der Entnazifizierungseifer nach. Die Forscherin führt dies auch auf eine etablierte bürokratische Praxis zurück, die alle Zeitenwenden überdauerte. Fragebögen zur Abstammung etwa wurden zunächst nicht aus Personalakten entfernt und teils bis in die 1950er-Jahre in den Personalakten gesammelt. Wenn NS-Symbole störten, behalf man sich mit Durchstreichen oder Überschreiben. Die NS-Vergangenheit der bayerischen Juristen sei zwar nicht verschwiegen, aber „routinemäßig verwaltet“ worden. Nach außen hin jedoch hielt man den „Wiederaufbau“ und die „Unabhängigkeit der Justiz“ hoch – wer kritisch nachfragte, wie etwa die Presse, störte bei diesem Selbstbetrug.
Wie ein Schock muss da die sogenannte „Blutrichter“-Kampagne der DDR ab 1957 gewirkt haben. Sie enthielt einen wahren Kern, denn tatsächlich arbeiteten in der Justiz etliche Richter und Staatsanwälte, die in der NS-Zeit an Todesurteilen mitgewirkt hatten. Auch in Bayern, wie Historikerin Werner feststellte. Dennoch wurden letztlich nur elf „Blutrichter“ aus dem bayerischen Justizdienst entfernt, nicht sehr viele, wie die Autorin urteilte. Der Grund: Nur wer an „exzessiven Todesurteilen“ mitwirkte, geriet ins Abseits. Ein Beispiel ist der Richter Alois Prebeck (geboren 1904), der ab 1942 als Staatsanwalt beim Sondergericht Prag an mehreren Todesurteilen beteiligt war – die Angeklagten wurden zum Beispiel der illegalen Hausschlachtung bezichtigt, hatten einem „aus Rassegründen“ verfolgten Bürger geholfen oder waren wegen Schwarzmarktdelikten festgenommen worden. Nach 1945 wurde Prebeck Amtsgerichtrat am Amtsgericht Amberg, obwohl er auf einer „war criminals“-Liste genannt worden war. Erst spät wurde ihm der vorzeitige Ruhestand nahegelegt.
Justizminister Georg Eisenreich (CSU) betonte, Justiz heute müsse „konsequent“ gegen Hass, Ausgrenzung und Antisemitismus vorgehen. Im Unterschied zu früher werde heute jeder Referendar vor der Einstellung auf seine Verfassungstreue geprüft – eine klare Lehre aus der NS-Zeit. IfZ-Leiter Andreas Wirsching wies darauf hin, dass Werners Studie an Forschungen zu Bundesministerien anknüpft. Im Vergleich zum Bund sei der Anteil früherer Nazis in der bayerischen Verwaltung „deutlich niedriger“ gewesen, was Wirsching auch auf eine selbstbewusste, katholisch geprägte bayerische Staatlichkeit zurückführt.
DIRK WALTER