Die große Abi-Lücke

von Redaktion

Er hat seine Entscheidung nicht bereut: Florian Königer macht seinen Freiwilligendienst beim BRK in Aubing. © Astrid Schmidhuber

München – Florian Königer möchte Rettungssanitäter werden. Und er kann sich sehr genau vorstellen, wie der Arbeitsalltag in diesem Beruf aussieht. Das verdankt er dem Freiwilligendienst, den er seit einem halben Jahr beim Roten Kreuz leistet. Der 19-Jährige fährt in Aubing Krankentransporte, an seiner Seite ist immer ein Rettungssanitäter. „Für mich ist der Freiwilligendienst ein Sprungbrett in den Beruf“, sagt Königer. Nicht nur, weil das BRK einen Teil der Ausbildung bezahlt und er noch bessere Chancen hat, übernommen zu werden. Sondern vor allem, weil er jetzt genau weiß, was Sanitäter leisten müssen.

Königer hat sich vergangenen Sommer erst kurz vor seinem Abi für den Freiwilligendienst beworben. Zweifel hatte er nur kurz, sagt er. Und nur, weil seine Freunde, die eine Ausbildung begannen, fast dreimal so viel verdienten wie er. „Aber wenn man gründlich darüber nachdenkt, geht es in diesem Jahr um mehr als um Geld.“ Würde ihn heute ein angehender Abiturient um Rat fragen, würde er das Freiwillige Soziale Jahr auf jeden Fall weiterempfehlen.

Allerdings gibt es in diesem Jahr fast keine angehenden Abiturienten. Wegen der Umstellung von G8 auf G9 fällt das Abitur aus. Und das spüren viele Organisationen bereits deutlich. „Wir haben rund 30 Prozent weniger Bewerbungen erhalten“, sagt Michael Kroll, der die Freiwilligendienste bei der Caritas organisiert. Wenn sich daran nichts mehr ändert, wird die Caritas ab Sommer mit 200 Freiwilligen weniger planen müssen. Kroll sagt ganz deutlich: „Das ist nicht zu kompensieren.“ Zwar werben die Verbände noch intensiver an Schulen. „Aber wir konkurrieren ja auch mit den Betrieben und Hochschulen“, sagt Kroll.

Das Rote Kreuz spürt den Bewerberrückgang noch deutlicher. Michael Richter, Leiter der Freiwilligendienste beim BRK, berichtet, dass bisher etwa 40 Prozent weniger Bewerbungen eingegangen sind. Während die Caritas „bis zur letzten Minute hofft“, ist Richter weniger optimistisch. Wo sollten die Bewerber denn herkommen, fragt er. Für viele Bereiche beim BRK müssen die Freiwilligen volljährig sein und einen Führerschein haben – damit sie zum Beispiel wie Florian Königer Krankentransporte übernehmen können. Damit kommen eigentlich nur Abiturienten oder FOS-Absolventen infrage. Auf Bewerbungen aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland will Richter nicht setzen. „Dafür ist das Wohnungsproblem im Großraum München zu groß. Auch er sagt ganz deutlich: Der fehlende Abiturjahrgang werde ein großes Loch reißen. Viele Einrichtungen werden auf die jungen Helfer verzichten müssen. „Jeder, der sich bewirbt und die Voraussetzungen erfüllt, wird mit Kusshand genommen.“

Auch langfristig ist der Freiwilligendienst für viele Organisationen ein wichtiger Faktor, erklärt Richter. „Denn viele junge Menschen entscheiden sich nach dieser Erfahrung für den Beruf.“ Sie wissen, worauf sie sich einlassen, können sich das FSJ sogar teilweise als Praktikum oder als Wartesemester für ein Medizinstudium anrechnen lassen. Weniger junge Menschen, die in die sozialen Berufe hereinschnuppern, bedeuten wahrscheinlich auch weniger Berufseinsteiger.

Thomas Schnubel ist beim BRK in Bad Tölz-Wolfratshausen Bereichsleiter für die Einsatzdienste. Er müsste ab Sommer neun Freiwilligendienststellen besetzen. Noch hat er nur Bewerbungen für die Hälfte davon. Er ist noch optimistisch, dass in den nächsten Wochen noch die ein oder andere Bewerbung eingeht. Aber er stellt sich auch darauf ein, dass ab Sommer nicht alle Stellen besetzt sein werden. „Wir können das nur ausgleichen, wenn wir verstärkt um neue Mitarbeiter werben.“ Aber schon bisher sei es eine Herausforderung, auf dem umkämpften Arbeitsmarkt neue Kräfte für den Rettungsdienst zu finden. Wenn das nicht gelingt, müssen die vorhandenen Einsatzkräfte auffangen, dass es ab Sommer weniger Freiwilligendienstleistende geben wird.

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