Dieses Plakat kündigte Josephine Bakers München-Auftritt 1929 an.
Das Deutsche Theater in den 1920er-Jahren. © Stadtarchiv (3)
Dr. Ulrike Hofmann im Stadtarchiv München. © Privat
Hans Gruß war von 1920 bis 1936 Direktor des Deutschen Theaters in München.
Josephine Baker tritt 1925 im Bananenrock auf – und provoziert damit ganz bewusst. © Bianchetti/IMAGO
München – Josephine Baker trägt einen Hauch von nichts. Ihr Lendenschurz aus Plüsch-Bananen wippt wild, wenn sie den Charleston tanzt. Damals, 1925 in Paris, und danach auf all den Bühnen dieser Welt. Konservative Sittenwächter verachten die schwarze Künstlerin, ihr Publikum aber tobt – darunter Hans Gruß (1883–1959). Der Direktor des Deutschen Theaters in München sieht Baker in Berlin tanzen und will sie 1929 um jeden Preis nach Bayern holen.
Der Weltstar, der am heutigen Samstag vor 50 Jahren gestorben ist, sagt damals tatsächlich zu. Also lässt Gruß, der heute als erster Vergnügungsindustrieller Süddeutschlands gilt und etwa das mondäne Seerestaurant im Starnberger Wellenbad Undosa erbaute, Plakate drucken und in ganz München aufhängen: Josefine Baker – eingedeutscht mit f – soll 1929 an fünf Abenden gemeinsam mit anderen Künstlern im Deutschen Theater auftreten.
So ein Plakat, 96 Jahre alt, hält die Historikerin Ulrike Hofmann heute in der Hand. Sie steht zwischen langen Regalreihen im Stadtarchiv München. In der Winzererstraße lagern so einige Dokumente, die von dem Skandal erzählen, den sich die Stadt 1929 gegenüber Baker geleistet hat. Denn aus den geplanten Auftritten wurde nichts.
„Was der Künstlerin in München widerfährt, hat sie auch in anderen europäischen Städten erlebt“, erklärt Hofmann. Meist muss sie strikte Auflagen hinsichtlich ihres Kostüms einhalten und etwa in Budapest erst mal vor einer „Kommission sittlich gefestigter maßgebender Herren“ auftreten, bis diese keine Bedenken mehr gegen ihr Programm hat. „Trotzdem stören Studenten damals ihre Vorstellung mit Stinkbomben. In Wien hält die Katholische Kirche Bußgottesdienste wegen der schweren Moralverstöße ab. In Warschau erhält sie Auftrittsverbot.“
München als „dümmste Stadt Deutschlands“?
München tut es den Polen gleich. Hofmann hat anhand 15 Artikeln aus diversen Münchner Zeitungen und der Stadtchronik die Gründe recherchiert. „In München spielten differenzierte Fragen zu Bakers Auftritt, also etwa ob sie leicht bekleidet tanzen oder vorrangig nur singen wird, keine Rolle. Auch Sorgen um Ruhestörungen wie in Wien sind es nicht, die die Ordnungshüter zum Auftrittsverbot bewegen“, sagt sie. Offiziell verbietet die Münchner Polizei am Valentinstag 1929 die Baker-Show, „weil durch das Auftreten eine Verletzung des öffentlichen Anstandes und damit der öffentlichen Ordnung zu erwarten gewesen wäre“.
In den Nachrichten wird Bakers Ruf als Hauptgrund genannt – eine Kombination aus ihrer Hautfarbe und Nacktheit. Zudem heißt es, sie sei eine impulsive, unberechenbare Frau. Die Originalquellen dokumentieren laut Hofmann den damaligen Zeitgeist: „Durch den Vorfall und die Berichterstattung lässt sich nachvollziehen, wie tief verwurzelt, selbstverständlich und weit verbreitet Rassismus damals in der Mehrheitsgesellschaft war. Zeitungen aus nationalen oder völkischen Lagern haben sich unverblümt einer herabwürdigenden, rassistischen Sprache bedient. Aber auch liberale und links stehende Zeitungen.“
Baker ist ein Politikum. Buhrufe hörte sie schon in Berlin. Sie galten ihr und den Juden, die an ihrer Produktion im Theater des Westens beteiligt waren. Später wird man sie dort nicht nur mit dem damals gängigen N-Wort, sondern auch als „Halbaffen“ bezeichnen. In München protestieren 1929 vor allem die Nazis, Völkischen und Kirchen. Der Präsident der Vaterländischen Verbände wettert bei der Stadt gegen Baker, dann folgt das Verbot durch die Polizeidirektion.
Baker harrt zwei Tage in ihrem Zimmer im Hotel Regina Palast aus. Vielleicht kann ja Hans Gruß noch etwas ausrichten? Er protestiert vehement, legt Beschwerde bei der Regierung von Oberbayern ein und versichert den Behörden, dass ein Nackttanz nicht vorgesehen sei und Baker bloß singen werde. Selbst, als Gruß droht, das Deutsche Theater zu schließen, bleibt es beim Auftrittsverbot.
Der Skandal bringt Bayern international in die Presse. Berliner Blätter küren München zur „dümmsten Stadt Deutschlands“ und zum „Bauern-Athen“. Der „Simplicissimus“ widmet der Posse eine Karikatur, auf der ein Polizist und ein Pfarrer Baker im Baströckchen mit den Worten „Hinaus mit dir! In Bayern dürfen nur wir bodenständigen Schwarzen auftreten!“ verjagen. Nur eine steht einen Weltkrieg später über diesen Dingen: „Nirgends“, sagt Josephine Baker, als sie 1953 endlich auf der Bühne im Deutschen Theater steht, „gibt es so ein reizendes Publikum wie in München“. Applaus dafür.