Jeden Sonntag um 12 Uhr findet ein Gottesdienst statt.
Deutschlands höchstgelegene Kapelle: Maria Heimsuchung.
Pastoralreferent Florian Hammerl im Gespräch, bevor er seinen Gottesdienst über den Berggipfeln beginnt. © Marcus Schlaf (3)
Garmisch-Partenkirchen – Als die Glocken läuten, steht Florian Hammerl draußen, neben der Kapelle. Er schließt einen Moment die Augen, spürt die Sonne und den Wind, der über den Gipfel der Zugspitze pfeift. Hier oben fühlt es sich so an, als könnte es nicht mehr weit sein in den Himmel. Gerade noch hat Hammerl auf Skiern auf dem Gletscher über die Schönheit der Schöpfung gestaunt. Nun trägt er Talar und sieht im Gegenlicht fast aus wie ein Engel, als er in die Kapelle tritt. Alle paar Wochen feiert der Pastoralreferent aus Garmisch-Partenkirchen hier auf knapp 2600 Metern Höhe einen Gottesdienst. Nie weiß er, was ihn in der Kapelle Maria Heimsuchung erwartet. Manchmal sitzen 30 Menschen in den Bänken, manchmal kein einziger.
An diesem Sonntag ist die Kapelle halb voll. In der letzten Reihe filmen zwei Touristinnen mit Selfie-Stick. Als Hammerl die Kirche betritt, wollen sie schnell gehen. „You can stay“, sagt er und lächelt. Und sie bleiben wirklich, zumindest die erste Viertelstunde des Gottesdienstes. Die Kapellentür bleibt während der Messe offen – alle dürfen jederzeit kommen und gehen. Hier oben gibt es keinen Zwang.
Es wird in der Kapelle eher voller als leerer. Auch ein paar Skifahrer hören erst von der Tür aus zu und setzen sich schließlich in eine der Kirchenbänke. Hammerl spricht über den Segen Gottes – und darüber, dass er hier auf Deutschlands höchstem Gipfel so viel leichter zu spüren ist. Sein Appell: den Blick in die Weite zu richten und das Herz zu öffnen. Dann teilt der 55-Jährige ein Brot, das er selbst gebacken hat, und legt jedem der Gottesdienstbesucher ein Stück davon in die Hand. Einige tragen Skihelme, andere warme Mützen. Einige sind aus der Region, andere von weither. Alle gehen nach dem Gottesdienst wieder ihrer Wege. Aber für eine halbe Stunde sind sie hier oben eine kleine Gemeinschaft. Und einige von ihnen vielleicht näher bei sich selbst, als sie es im Tal sein könnten.
Während Hammerl über die Grenzenlosigkeit der Schöpfung spricht, die hier oben so wunderschön sichtbar ist, betritt eine Skifahrerin die Kapelle. Erst will sie nur an der Tür stehen bleiben, nach ein paar Minuten nimmt sie in einer Kirchenbank Platz. Gudrun Grasegger hatte das Läuten der Glocken gehört, als sie zur nächsten Abfahrt starten wollte. Sie sagt: „Das war wie ein Zeichen.“ Sie schnallte die Ski ab und lief zur Kapelle. „Ich war lange krank“, erzählt sie. Diesen Moment möchte sie nutzen, um sich zu bedanken, dass sie wieder gesund ist.
Eine Reihe vor ihr sitzt ein Paar aus Mittelfranken. Die beiden machen Urlaub in Garmisch-Partenkirchen. Als sie erfahren haben, dass es auf der Zugspitze einen Gottesdienst gibt, sind sie spontan raufgefahren – und kamen mit dem Läuten der Glocken an. Sie nehmen sich danach viel Zeit, um über die Grenzenlosigkeit und Schönheit der Welt zu staunen, von der Hammerl geredet hat. Als sie ins Tal fahren sind, sie sicher, dass es ein Tag war, an den sie gerne zurückdenken werden. Hammerl weiß gut, dass Emotionen hier oben viel größer werden als im Tal. Manchmal kann er es Menschen ansehen – ohne ihre Geschichten zu kennen. Manchmal liest er es in dem Buch in der Kapelle, in dem Besucher eine Notiz hinterlassen. „Danke, lieber Gott, für die wunderbare Natur und das schöne Leben“, hat jemand geschrieben. Ein anderer: „Lieber Papa, ich weiß, du schaust uns zu. Wir denken jeden Tag an dich.“ Und ein Besucher brauchte nur drei Worte: „Was ein Erlebnis!“
Bevor er den Talar wieder gegen seine Skijacke eintauscht, trägt sich Hammerl noch in das Gottesdienst-Buch ein. Das macht jeder Pfarrer, der hier oben Messe feiert. Der erste Eintrag stammt vom 28. Juni 1981 – vom damaligen Erzbischof von München und Freising, einem gewissen Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt. Jeder Pfarrer hinterlässt nur seinen Namen und die Zahl der Besucher. Hammerl schreibt eine 30 in das Buch. Ende April wird er wieder hier sein. Vielleicht in einer vollen Kapelle. Vielleicht allein mit Gott.
„Lieber Gott, hier oben sind wir näher bei dir“ – den Satz hat an diesem Sonntag jemand in das Buch geschrieben. Vielleicht ist das das Gefühl, das die Menschen auf dem Gipfel verbindet. „Die Natur spricht einen hier sehr stark und unmittelbar an“, sagt Hammerl. „Und das führt uns oft ganz nah zu uns selbst.“