Gedenken an zwei Mordopfer: Gottesdienst in Götting am vergangenen Samstag. © Privat
Götting/Ansbach/Regensburg – Als am Morgen des 28. April gegen 6 Uhr die „Freiheitsaktion Bayern“ eine Durchsage über das Ende des Naziregimes im Sender Freimann ausstrahlte, hörte das in Götting bei Bad Aibling auch der örtliche Lehrer Georg Hangl. Er eilte zum Pfarrer Josef Grimm, berichtete ihm von der vermeintlichen Wende im Kriegsverlauf. Kurze Zeit später wehte die weiß-blaue Fahne vom Göttinger Kirchturm.
Leider war die Meldung der „Freiheitsaktion“ verfrüht. Das NS-Regime wankte, doch selbst in den letzten Kriegstagen gab es überall fanatische Parteigänger Hitlers. So auch in Götting, wo sich im örtlichen Wirtshaus mehrere SS-Leute, zum Teil aus dem belgischen Flandern, einquartiert hatten. Sie zwangen den Mesner dazu, die Bayernfahne wieder herunterzuholen und machten sich dann auf die Suche nach denjenigen, die sie aufgehängt hatten. Schon am Nachmittag war Grimm in ihrer Gewalt. Die SS-Männer stießen ihn in ein Auto, fuhren zu einer abgelegenen Stelle im Wald und erschossen ihn. Anschließend nahmen sie sich den Lehrer vor. Georg Hangl wurde festgenommen, abgeführt und geschlagen. Als er in Panik fliehen wollte, wurde er aus einer Entfernung von sechs bis sieben Meter von hinten erschossen. Nur zwei Tage später, am 1. Mai 1945 gegen 20 Uhr, erreichte die US-Armee Götting.
80 Jahre später findet in der katholischen Pfarrkirche St. Michael ein Gedenkgottesdienst statt. Die Kirche ist voll, 150 Besucher, auch Angehörige des ermordeten Pfarrers Grimm. Sie haben Fotos mitgebracht, man tauscht sich auch nach dem Gottesdienst aus. Die Bluttat ist in Götting nicht vergessen, sagt Nicolas Klöcker, Lehrer am Gymnasium Miesbach und wohnhaft in Götting. Der ehemalige Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler hält einen Vortrag – insgesamt „eine würdige Veranstaltung“, wie Klöcker sagt.
Das Verbrechen hat damals das Dorf erschüttert – doch singulär war es nicht. Sogenannte „Endphaseverbrechen“, die fanatische Nationalsozialisten noch kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner verübten, gab es an vielen Orten in Deutschland – und natürlich auch in Bayern. Das NS-Regime „mit seiner terroristischen Repression“ funktionierte „bis zum Schluss“, schreibt der Historiker Ian Kershaw in seinem Buch „Das Ende“ über die letzten Monate des NS-Regimes. Es sei historisch ein extrem seltener Fall, dass ein Regime tatsächlich bis zum letzten Straßenzug im Kampf besiegt werden musste. Normalerweise, so Kershaw, enden Kriege auf irgendeine Weise mit einer Verhandlungslösung. Nicht so 1945 – was viele derjenigen Nazi-Kritiker mit dem Leben büßten, die zu früh vom Zusammenbruch des NS-Regimes ausgingen oder aber unvorsichtig waren. In Ansbach wurde dieser Tage des 19-jährigen Schülers Robert Limpert gedacht. Er hatte ein Kabel der Wehrmacht zerschnitten – im Glauben, der Krieg sei vorbei. Am 18. April, nur Stunden vor Eintreffen der Amerikaner, war er am Tor des Rathauses mitten in der kleinen Stadt aufgehängt worden. Die Umstände waren besonders dramatisch: Limpert, der in die Fänge eines fanatischen Wehrmachtskommandeurs („Kampfkommandant“) geraten war, versuchte zunächst zu fliehen, wurde dann an den Haaren zurückgeschleift. Beim ersten Mordversuch riss dann der Strick. Erst der zweite Versuch endete tödlich. Sechs Tage später schritt ein anderer „Kampfkommandant“ in Regensburg zur Tat: Er knüpfte den Domprediger Johann Maier mit einem weiteren Festgenommenen wegen „Wehrkraftzersetzung“ auf – Maier erhielt ein Schild um den Hals: „Hier starb ein Saboteur“.
Nach 1945 kamen die Täter zumeist mit milden Strafen davon. Bei den Regensburger Morden blieben alle Beteiligten des Standgerichts straffrei, für die Morde von Götting erhielt nur ein SS-Mann eine (durch die Untersuchungshaft abgegoltenen) Freiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat Nur der Verantwortliche für den Mord an Limpert erhielt eine mehrjährige Haftstrafe.
Was dem Lehrer Nicolas Klöcker aus Götting am Samstag aufgefallen ist: Es gibt keine Zeitzeugen mehr. Vor zehn Jahren habe es noch einige gegeben, die das Verbrechen persönlich am Rande miterlebt hätten. Sie sind mittlerweile verstorben, vermutet Klöcker. Es werde künftig schwieriger, die Erinnerung wachzuhalten, sagt er. „Da bricht auch für die Erinnerung eine neue Zeit heran.“
DIRK WALTER