Tagebuch einer Nationalsozialistin

von Redaktion

Für Maria B. brach 1945 eine Welt zusammen – „Deutschland ist erledigt“

Eng beschriebene Seiten: Aufzeichnungen von Maria B.

Kriegsende als „völlige Niederlage“: Maria B. © Tagebucharchiv

München – In Berichten zum Kriegsende stehen oft Geschichten des Widerstands im Vordergrund. Doch Hitler konnte sich auf eine breite Anhängerschaft stützen. Wie groß diese war, darüber wird derzeit wieder unter Historikern diskutiert. Der NS-Forscher Peter Longerich vertritt in seinem Buch „Unwillige Volksgenossen“ die These, die Begeisterung für Hitler sei irgendwann umgeschlagen und die meisten hätten schließlich Hitler eher murrend ertragen – denn aktiv unterstützt. Doch das NS-Regime kollabierte auch dann nicht, als der Krieg längst verloren war. Sondern es wurde von außen gestürzt. In Deutschland lebte kein von Nazis unterdrücktes Volk von Widerständlern, sondern eine Masse von Mitläufern, Mittätern und Sympathisanten.

Eine davon war Maria B. (1902-2000) – in Absprache mit ihren Nachfahren wird ihr Nachname hier abgekürzt. Sie war verheiratet mit dem Münchner Pathologen Gustav B., der als Vertrauter des Reichsärzteführers im NS-Ärztebund Karriere machte, und wie ihr Mann überzeugt vom Nationalsozialismus war. Wie erlebte sie das Kriegsende? Auskunft geben ihre zum Teil in der NS-Zeit, zum Teil in den 1960er-Jahren retrospektiv gemachten Aufzeichnungen, die im Deutschen Tagebucharchiv Emmendingen verwahrt werden.

Das Ehepaar B. war mit führenden SS-Leuten bekannt, Gustav B. auch selber bei der SS. Im Januar 1944 gibt es dazu bezeichnende Notizen. Bei einem Autounfall nahe Bad Tölz sterben zwei hochrangige SS-Funktionäre, Karl Gengenbach und Heinz Gräfe, beide als Holocausttäter direkt involviert in die Judenvernichtung. Mit den Gengenbachs war das Ehepaar B. eng befreundet, „wir fühlten tiefes Mitleid mit der blutjungen Frau“. Bei der Trauerfeier im Hotel „Vier Jahreszeiten“ sitzt Maria B. neben dem SS-Mann Otto Ohlendorf, einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Er wird später gehängt. „Er war ein gut aussehender norddeutscher Typ, blond und blauäugig“, schreibt Maria B. über ihn.

Maria B. schrieb hunderte von Seiten. Zu ihrem Mann steht sie eisern, gibt aber im Nachhinein zu: „Seine Einstellung zum Nationalsozialismus blieb lange Zeit positiv.“ Nur schwer zu ertragen sind ihre Ausführungen zur sogenannten Euthanasie, also zur Ermordung behinderter Menschen. „In einer Zeit, da der Krieg Hunderttausende gesunder Menschen jeden Alters an der Front, auf der Flucht, in der Heimat auf entsetzliche Weise tötete und verstümmelte, schien ein humaner Tod für die unglücklichen Insassen der Heilanstalten weniger schlimm.“ Selbst lange Zeit nach Ende der NS-Zeit weicht Maria B. nicht von dieser Überzeugung ab. Sie habe im TV einen Film über die Morde in der Heilanstalt Bethel gesehen, schreibt sie 1968. Sie habe sich beim Zusehen bei manchen der gezeigten Menschen gefragt, „ob solch ein Leben ,lebenswert‘ ist und musste es verneinen.“

Das Kriegsende erlebt Maria B., damals Rot-Kreuz-Schwester, zunächst in Fürth, wo sie einen Kurs abhält. Mit anderen Schwestern sei sie damals oft „vor der großen Landkarte“ gestanden und habe „die Rückzüge auf allen Fronten“ studiert, schreibt sie. „Es war entsetzlich deprimierend.“ Mitte April 1945 fährt sie nach München zu ihrem Mann ins Pathologische Institut. Den Moment der Befreiung beschreibt sie betont nüchtern – aber es ist ja für sie auch keine Befreiung, eher ein Zusammenbruch: „Am 30. April schoss es bald näher, bald ferner, und unser Radio schwieg. Um halb 5 Uhr Nachmittag wurde das Institut von amerikanischen Soldaten besetzt. Wir wurden im großen Hörsaal zusammengerufen und gezählt. Niemand darf aus noch ein. Wer Waffen hat, muss sie abgeben.“

Sie selber fühlt sich „unfreundlich behandelt“. Dann berichtet sie, wie sich amerikanische Soldaten an den Alkoholvorräten bedienen und wild in die Wände schießen. „Wir glaubten nicht lebend den Raum zu verlassen.“ Erst am 4. Mai ziehen die US-Soldaten ab, eine neue Einheit kommt, die sich „höflich und korrekt“ benimmt. Ihr Mann werde jedoch „bewacht wie ein Verbrecher“. Wenige Zeilen weiter resümiert sie über die „völlige Niederlage“: „Deutschland besiegt, unterworfen, erledigt.“

Gustav B. wird nach 1945 von der Universität München entlassen, nach längerer Inhaftierung im Spruchkammerverfahren jedoch nur als „Mitläufer“ eingestuft. An die Uni kann er nicht zurück. Später arbeitete er als Laborant in der Privatwirtschaft. Er lebte bis 1989.
DIRK WALTER

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