Wilderer, Mörder, Volksheld

von Redaktion

Das Schulhaus in Sulzemoos, das der junge Mathias Kneißl besucht hat.

Die Guillotine, mit der Mathias Kneißl hingerichtet worden ist.

In diesem Stadel in Geisenhofen ist Kneißl 1901 verhaftet worden.

Mathias Kneißl (Mitte) nach seiner Verhaftung in der Chirurgischen Klinik München im Jahr 1902. © Gebhardt/Imago (2), Kneissl-Radweg, Geschichtswerkstatt Dachau

Sulzemoos – Zuagricht, hergricht, higricht. So schimpft Bayern über die Hinrichtung des Mathias Kneißl am 21. Februar 1902. Zuvor wurden bei seiner Verhaftung 21 Schüsse auf ihn abgefeuert. Auf Stroh gebettet kam der lebensgefährlich verletzte Räuber von Geisenhofen im Kreis Fürstenfeldbruck zur Notoperation nach München. Er überlebte, saß Monate im Rollstuhl, erholte sich – nur, um dann unter dem Fallbeil hingerichtet zu werden.

Bis heute spricht man über den Räuber Kneißl. Das Maisacher Bräustüberl schenkt Kneißl-Bier aus. 2008 flimmert der Räuber über die Kinoleinwand, auch auf Theaterbühnen treibt er noch sein Unwesen. Seit drei Jahren führt der Räuber-Kneißl-Radweg durch Fürstenfeldbruck und Dachau (siehe Kasten). In Sulzemoos, wo er einst aufgewachsen ist, steht ein Museumshütterl. Die Kulturwissenschaftlerin Annegret Braun hat historische Fakten dafür kindgerecht aufgearbeitet. „Dass hier aber auch noch ein Spielplatz nach Mathias Kneißl benannt ist, geht mir persönlich zu weit“, sagt sie. „Er war kein Held, also müssen wir uns kritisch mit ihm auseinandersetzen und anhand seines Lebens viel über die damalige Zeit lernen.“

Bayerns Kult-Räuber hat immerhin zwei Männer auf dem Gewissen. Am 30. November 1900 kommt es zwischen dem Wilderer und der Polizei in Altomünster zum Schusswechsel. Die Gendarmen treffen nicht, Kneißl schon. Einer stirbt sofort, der andere drei Wochen später. Auf den Doppelmörder sind 1000 Mark Belohnung ausgesetzt. Vier Monate ist der auf der Flucht, hat die einfachen Leute im Dachauer und Maisacher Land aber auf seiner Seite. Dorfpolizisten melden „kneislerisches“ Verhalten: Sie würden auf falsche Fährten gelockt. Dass die Staatsgewalt dem Kneißl nicht Herr wird, sorgt für Spott. Zeitungen im ganzen Deutschen Reich berichten damals.

„Als Kneißl sich nach seiner Festnahme erholt, bekommt er Liebesbriefe und Blumen geschickt“, weiß Braun. „Er soll auch turtelnd mit einer Krankenschwester gesehen worden sein und Heiratsanträge bekommen haben.“ Räuberromantik. Als Widerständler gegen die Obrigkeit wird Kneißl als Kämpfer gegen die ungerechte Gesellschaftsordnung gesehen. Deshalb haben auch die US-Gangster Bonnie und Clyde bis heute Kult-Status. „Ein Robin Hood war Mathias Kneißl zu keiner Zeit“, sagt Braun. „Er hat nur für seine eigenen Zwecke gestohlen.“

Vor 150 Jahren, am 12. Mai 1875, kommt Mathias Kneißl zur Welt. „Er wird in schwierige Verhältnisse hineingeboren“, sagt Braun. „Die Eltern sind Kriminelle, lernen Mathias und seinem jüngeren Bruder Alois schon als Kind das Schießen und treiben sie zum Wildern an.“ Sie führen ein Wirtshaus in Unterweikertshofen, eine Einkehr für Wilderer und Hehler, später die Schachenmühle bei Sulzemoos. Die Gendarmerie hat die Kinder auf dem Radar, der Pfarrer schikaniert sie. Mit 16 kommt Mathias zum ersten Mal für drei Tage in Haft, weil er die Sonntagsschule schwänzt.

Im Museumshütterl hat Braun Schulzeugnisse Kneißls ausgestellt: „1881 hatte er eine Zwei im Rechnen, Lesen und Schreiben, sogar mal eine Eins und einige Male eine Drei. So schlecht ist das nicht, trotzdem bezeichnet ihn der Lehrer von Unterweikertshofen als ‚Zuchthauspflanze‘.“ Pädagogik sieht anders aus. 1887 aber schreibt der Lehrer von Sulzemoos: „Fähigkeiten sind ihm nicht abzusprechen, seine Faulheit ist jedoch grenzenlos.“ Der Lehrer Wagner ist bemüht – und Kneißl sollte ihm das nie vergessen. Einen Tag vor seiner Hinrichtung dankt er ihm in einem Abschiedsbrief für seine „hinopfernde Mühe“.

„Nach der tragischen Kindheit ist im Leben des Mathias Kneißl wohl alles schiefgegangen, was schiefgehen konnte“, sagt Braun. Als er 17 ist, stirbt sein Vater bei einer Festnahme. Auch Mutter Therese wird verhaftet. Kneißl und seine vier jüngeren Geschwister sind allein. Bruder Alois gerät auf die schiefe Bahn, zieht stehlend durch die Gegend, erschießt 1893 zwei Gendarmen und stirbt später im Zuchthaus. Mathias wandert mit ihm hinter Gitter. Mit 23 kommt er frei, darf wegen eines Aufenthaltsverbotes aber nicht bei seiner Familie in München leben. Er arbeitet in Nussdorf als Schreiner. Er will sparen, um mit dem Schiff nach Amerika zu fahren. Doch seine Vergangenheit holt ihn ein. Als Ex-„Zuchthäusler“ diffamiert, wird er entlassen und nirgendwo mehr eingestellt. Aus Not bricht er bei einem Bauern ein, wird verraten und muss fliehen. Auf der Flucht feuert auch er dann tödliche Schüsse ab.

„Kneißl blieb sein Leben lang ein Pechvogel“, sagt Braun. „Die Geschworenen verurteilten ihn wegen Mordes zum Tode und nicht wegen Totschlags zu lebenslänglicher Haft. Selbst der Vorsitzende Richter hielt das für strittig. Aber Prinzregent Luitpold lehnte mehrere Gnadengesuche ab.“ Nach seiner Enthauptung kauft Kneißls Mutter den Leichnam für 60 Mark frei. Unter den Augen vieler Schaulustiger wird Mathias Kneißl in Augsburg beerdigt. Und ein bayerischer Volksheld geboren.

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