Zufrieden: Treibfahrzeugführer Gapke.
Leise und antriebsstark: der Mireo Plus H am Bahnhof Weilheim. eine Tankfüllung reicht für sechs Fahrten. © Hans-Helmut Herold (2)
Augsburg – Triebfahrzeugführer Oleg Gapke gibt die Zugnummer 86525 ins Display ein, dann macht er die obligatorische Bremsprobe. Geschwindigkeits- und Fahrplanheft liegen vor ihm, die vier Langsamfahrstellen auf der Strecke von Augsburg nach Weilheim sind auf dem Tablet verzeichnet. Als das Signal auf Grün schaltet, betätigt er einen Hebel im Führerstand. Schon schnurrt der Zug los. Leise ist er ja, der Mireo Plus H von Siemens, Bayerns erster und bisher einziger Wasserstoffzug. Seit fast einem halben Jahr wird er von der Bayerischen Regiobahn (BRB) auf den Strecken von Augsburg nach Peißenberg und Füssen getestet. Dort sind die Bahnstrecken großteils nicht elektrifiziert – der Mireo Plus H könnte eine klimafreundliche Alternative zu den herkömmlichen Dieselzügen sein, mit denen die BRB üblicherweise auf den Strecken unterwegs ist. Lokführer Gapke klingt zufrieden.
Der Versuch laufe „sehr gut“, sagt der 42-Jährige, als der Zug vor Mering 140 km/h erreicht. Der Wasserstoffzug beschleunige viel schneller als ein Dieselzug. Wenn es einige Minuten Verspätung gebe, könne er das auf geraden Streckenabschnitten „locker“ wieder reinholen – was mit dem trägen Dieselzug nicht so leicht möglich sei. Im Zug stecke „Power“.
Wasserstoff-Züge sind zumindest theoretisch eine ideale Lösung auf nicht-elektrifizierten Nebenstrecken. In Brennstoffzellen wird aus Wasserstoff und Sauerstoff aus der Umgebungsluft elektrische Energie erzeugt. Zurück bleibt lediglich Wasserdampf, auch am Dach des BRB-Zugs sieht man gelegentlich weiße Wölkchen. Ist das nicht ideal, um rußende Dieselloks zu ersetzen?
Als der Zug in den Bahnhof Schmiechen einfährt, steht da schon der ehemalige Chef der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG, Herbert König. Der pensionierte Eisenbahner alter Schule mit Modellbahn im Keller wohnt im ehemaligen Bahnhofsgebäude gleich neben dem Gleis und beobachtet er interessiert den Zugbetrieb. „Nein, das wird sich nicht durchsetzen“, sagt er mit Blick auf den neumodischen Wasserstoff-Zug. „Der Wirkungsgrad ist viel zu gering.“ Selbst eine Dampflok, spottet König, sei energieeffizienter.
Er ist nicht der einzige Kritiker. „Der Markt hat sich klar entschieden: Wasserstoff ist für die Mobilität in Bayern nicht relevant“, hatte Pro-Bahn-Landesvorsitzender Lukas Iffländer schon zum Start der Testfahrten erklärt. Er verweist auf eine Studie, nach der der Betrieb eines Wasserstoffzugs fast doppelt so teuer wie der eines Akku-Zugs ist. Auch Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) klingt nicht wirklich überzeugt, wenn er gegenüber unserer Zeitung erklärt: Die „beste Lösung“ sei die Elektrifizierung mit Oberleitungen oder der Einsatz von Akku-Zügen. „Auch Wasserstoffzüge können eine Alternative sein. Allerdings sind diese sehr teuer und der Betrieb deutschlandweit von Pannen geprägt.“ Das Ministerium gehe trotzdem „technologieoffen“ vor und gebe auch dem Wasserstoffzug eine Chance. 30 Monate, bis Mitte 2027, soll der Mireo Plus H von der BRB getestet werden. Der Versuch wird sogar noch ausgeweitet – ab Ende 2026 („voraussichtlich“) werden drei Mireo Plus H der Deutschen Bahn zwischen Mühldorf und Burghausen fahren. Die DB baut dafür in Mühldorf eine eigene Elektrolyseanlage, die mit 100 Prozent Ökostrom betrieben werden soll.
Erste Daten aus dem BRB-Versuch sickern langsam durch. Eine Wasserstoffladung, die 180 Kilo umfasst (Wasserstoff wird in Kilo gemessen, nicht in Litern), reicht nicht wie vom Hersteller ursprünglich angenommen für bis zu 1200 Kilometer, sondern nur für 700 bis 800 Kilometer. Damit kann der Mireo Plus etwa drei Mal zwischen Augsburg und Peißenberg hin und her pendeln, ehe er wieder betankt werden muss. Es gibt nur eine Tankstelle – am Betriebshof der BRB in Augsburg. Ein Lkw von DB Energie liefert ihn gekühlt an. Der Wasserstoff wird nicht mit Kohle- oder Atomstrom gewonnen, versichern alle Beteiligten. Der Lieferant sei „ein regionales Unternehmen aus Bayern“, heißt es von Bahntochter DB Energie, die für die Tankstelle zuständig ist. Einen Dieselzug darf Gapke selbst betanken, beim Wasserstoffzug ist das anders: Da muss ein Techniker der Betriebswerkstatt ran. Bis zu 45 Minuten dauert ein Tankvorgang.
Erst einmal sei er bisher auf offener Strecke liegen geblieben, sagt Lokführer Gapke, der nur von kleinen Makeln berichten kann. So sei der Hupton ungewöhnlich laut – nervig für Bewohner von Füssen und Umgebung, wo der Zug wegen vieler unbeschrankter Bahnübergänge gleich an 40 Stellen je drei Sekunden einen Warnton abgeben muss. Mit sogenannten Pfeiltafeln entlang der Strecke ist das genau vorgeschrieben. Der Zug sei aber auch eine Attraktion. „Ich werde immer wieder von Fahrgästen angesprochen, die mal in den Führerstand schauen wollen.“ Andere seien am Bahnhof leicht verunsichert – ist das außen extra beklebte Fahrzeug wirklich die gewohnte BRB? Während bisher immer ein Techniker von Siemens im Führerstand mitgefahren ist, soll sich das ab dieser Woche ändern: Der Betrieb laufe jetzt so stabil, dass das nicht mehr notwendig sei.
DIRK WALTER