Autorin Marita Kraus neben dem barberinischen Faun, Ludwigs Lieblingsskulptur in der Glyptothek. © dw
Intensiver Träumer: König Ludwig I. im Könungsornat (unbekannter Künstler). © HDBG
München – Er gilt als Baumeister Bayerns, als Frauenheld – aber das sind natürlich Klischees. Die Historikerin Marita Krauss aus Pöcking hat eine sehr ungewöhnliche Biografie über Ludwig I. geschrieben, der laut Klappentext ihres Buches der bedeutendste König Bayerns war. Bedeutender als Ludwig II., bedeutender als sein Vater, der Erschaffer des Königreichs Bayern Max I. Joseph? Nun ja, darüber lässt sich wohl ewig streiten.
Krauss nutzt sogenannte Ego-Dokumente, für die Lektüre holte sie die Zustimmung des obersten Wittelsbachers Franz von Bayern ein. Ludwig war „in exorbitantem Maße ein schreibendes Individuum“, so die Autorin. Er hinterließ 65 000 Seiten Tagebuch, 600 Seiten handschriftliche Notizen, ein Traumtagebuch, in dem er rund 400 Träume schilderte, 4600 Gedichte, dazu einen schier unüberblickbaren Briefwechsel – allein 3000 Briefe gingen an die von ihm umschwärmte Marchesa Marianna Florenzi.
Der Beck-Verlag hat sich zur Präsentation des Buches am Montagabend einiges einfallen lassen. Sie findet in der Glyptothek statt, Ludwigs erstem Bauprojekt. Zwei Schauspieler mimen während der Lesung gekonnt Ludwig und seinen genialen Architekten Klenze im Zwiegespräch. Aber eigentlich geht es Krauss gar nicht so sehr um Ludwigs Bauten. Klar, das kommt im Buch schon vor, ebenso wie die Politik des Königs prägnant nachgezeichnet wird: seine vom bösen Minister Abel beförderte Rekatholisierung, seine Förderung der Eisenbahn, von Erfindungen. Aber letztlich wird das von Kraus eher pflichtschuldig, wenngleich gekonnt erledigt. Ludwigs Biograf Helmut Gollwitzer habe davor ja schon alles gesagt (das Buch ist freilich 40 Jahre alt). Auch Ludwigs „tiefdunkler Fleck“ (Krauss), die Verfolgung vermeintlicher Revolutionäre, Festungshaft und Hinrichtungen inklusive, ist auf wenige Seiten zusammengestaucht.
Stattdessen will sich Krauss dem Menschen nähern, seinen Gefühlswelten und Emotionen. Das sind für sie die Schlüssel zum Verständnis des Königs. Das führt natürlich zu einer fast schwärmerischen Darstellung. Emotion öffne auch den Zugang zu Ludwigs Kunstverständnis. Pure Sammelleidenschaft oder die Anhäufung von Kulturgütern war es nicht. In Kunst suchte er den „emotionalen Moment“.
Schon im Vorwort räumt Marita Krauss mit einem Vorurteil auf, das wegen Ludwigs Affäre mit Lola Montez wohl unabänderlich an dem König klebt: seinem Ruf als Frauenheld. Die meisten seiner innigen Beziehungen seien platonisch gewesen, sagt Kraus, weil er sich als strenger Katholik eines „fleischlichen Umgangs“ enthalten habe. Krauss korrigiert auch Annahmen, Ludwig und seine Ehefrau Therese hätten sich entfremdet. Eine reine Zweckehe war es nicht – je länger die Beziehung dauerte, desto inniger wurde sie „ungeachtet vieler Verliebtheiten“ des Königs.
Ein zentrales Kapitel ihres Buches ist die Interpretation des Traumtagebuchs. Ein Jahr lang dokumentierte Ludwig 1839 seine Träume. Warum er das tat, ist rätselhaft. Ludwig schwieg zur Motivation. Psychoanalyse gab es noch nicht, wahrscheinlich wurde Ludwig von griechischen Klassikern zur Traumdeutung angeregt. Viele Eintragungen handelten vom dominanten Vater, von dem sich Ludwig nur langsam löste. „Möglicherweise wirkte das Träumebuch für Ludwig als eine Art Selbsttherapie mit einer Entwicklung zur Emanzipation von seinem einschüchterndem Vater“, schreibt die Historikerin.
Ludwig regierte 23 Jahre, einiges länger als Angela Merkel. Doch er hatte ein Leben vor der Inthronisation und lebte auch noch 20 Jahre lang als abgedankter König. Beides kommt in der Biografie (anders als in den Vorgängerwerken) üppig vor. 1868 starb er 81-jährig. „Emotionalität und Liebesfähigkeit blieben wie ein Makel an ihm hängen“, schließt die Autorin.
DIRK WALTER
Marita Krauss
Ludwig I. von Bayern. Träume und Macht, C. H. Beck Verlag, 639 Seiten, 44 Euro