Die Harlekin-Mütze muss der Verlierer tragen.
Carol Zehetmeier, eine der wenigen Frauen im Harlekin.
In diesem Schminktäschchen verstaut Carol Zehetmeier ihre Pfeile. Jeder Dartspieler hat hier seine eigene Präferenz.
Für das sogenannte „E-Darts“ gibt es einen eigenen Bereich. Hier zählt der Automat die erworfenen Punkte.
Peter Seidl führt das Bistro Harlekin und gründete den dortigen Dartverein. © Yannick Thedens (5)
München – Mit jedem Pfeil fliegt eine Frotzelei durch den Raum. Alexander Stiegeler wirft einen Dart, der klackernd in der Scheibe stecken bleibt. „Das gilt nicht“, scherzen seine Kumpels, die an der Theke lehnen und lachen. Doch der Automat zählt brav die Punkte. Und die goldene Regel im E-Darts lautet: „Der Automat hat immer Recht“, erklärt Stiegeler. „Früher“, sagt der 40-Jährige, „gab es das Klischee, dass Darts ein Sauf-Sport ist.“ Gespielt von ältlichen Männern mit Bierbauch. Aber das stimme überhaupt nicht. Bei großen Turnieren gelte mittlerweile Alkoholverbot in den Spielhallen. „Man betätigt dabei Körper und Geist“, meint Stiegeler.
Stiegeler gehört zu den jüngeren Mitgliedern im Dartclub Harlekin in München-Giesing – nach eigenen Angaben der größte Dartverein Münchens. „Zumindest, was die Mitglieder angeht, wir haben 23 Mannschaften“, erklärt Peter Seidl. Der stämmige 61-Jährige mit den dicken Fingerringen ist hier der Chef. Untergebracht ist der Verein in dem 70 Quadratmeter großen Bistro Harlekin. Neuerdings rennen die Leute ihm die Bude ein. Denn das Darten boomt. „Der Hype ist da.“ Grund sei die gestiegene Medien-Präsenz. Bei den Jungen wird es immer beliebter. Ihr Idol ist der britische Superstar Luke Littler, der heuer bei der Darts WM in London mit 17 Jahren als jüngster Weltmeister in die Geschichte einging.
In der Münchner Dartszene ist Seidl eine Ikone. 1998 übernahm er die Kneipe. „Überall hingen Harlekin-Masken.“ Deshalb der Name des Vereins DC Harlekin, den er 2004 gründete. Der Wirt machte Karriere mit seinen Darts: 2005 wurde Seidl in Las Vegas mit der deutschen Nationalmannschaft Weltmeister im E-Darts. Ein gut ein Meter großer Pokal zeugt davon. Seidl ist zudem zweifacher Europameister im Einzel. Sein Bistro ist vollgestopft mit Pokalen. „Es sind so viele, dass ich oft welche herschenke.“ In der Kneipe steht sogar eine Statue von Seidl.
Im Bistro Harlekin kann man in einer Ecke Steeldarts, in der anderen E-Darts oder Softdarts spielen. Beim Steeldarts handelt es sich um die ursprüngliche Form, mit klassischen Pfeilen und Spitzen aus Stahl. Beim Softdarts bestehen die Spitzen aus Kunststoff, sie kommen beim elektronischen Darts mit Automat zum Einsatz. „Steeldarts ist wie Fußball auf dem großen Platz“, sagt Seidl. Hier gehe es um Ruhm, Ehre und Geld. „E-Darts ist Fußball in der Halle, ohne Geld.“ Ein entscheidender Unterschied: Beim E-Darts zählt der Automat die Punkte von 501 bis nNull runter. „Beim Steeldarts muss man selber rechnen“, sagt Stiegeler. „Darum spielen wir lieber am Automaten.“ Er lacht laut.
Carol Zehetmeier schreckt die Mathematik nicht ab. „Irgendwann hat man die Wege im Kopf“, sagt die 59-Jährige mit den kurzen dunklen Haaren, sie gehört zu den wenigen Frauen im Harlekin. „Ois Easy“, steht auf ihrem Trikot, so heißt ihr Team. „Wir Frauen machen 30 Prozent aus“, schätzt sie. Vor ihr liegt ein Schminktäschchen, bestickt mit den Mainzelmännchen. Hier bewahrt sie ihre Pfeile auf, drei Stück in Lila. Vor 40 Jahren fing Zehetmeier mit dem Steeldarts an, gründete die erste Münchner Damenmannschaft. Zehetmeier fährt oft auf internationale Turniere im Amateurbereich. Sie liebt die Ausflüge mit dem Verein. Überhaupt sei Darts „ein sehr sozialer Sport“, findet Seidl. „Man kommt mit Leuten zusammen, muss sich anpassen, das eigene Ego zurückschrauben.“
Alexander Stiegeler zog vor zehn Jahren von Berlin nach München. Im Harlekin fand er schnell Anschluss. „Darts ist ein demokratischer Sport“, sagt der 40-Jährige. Jeder mache mit. „Vom Arbeitslosen bis zum Programmierer.“ Hier seien alle gleich. „Deshalb ist das Darten so populär.“
Wie groß der Andrang bei Turnieren ist, bezeugt der Harlekin-Baum. „Bei Wettkämpfen sind Sitzplätze umkämpft“, weiß Seidl. Um das eigene Revier abzustecken, stellen die Mitglieder den Stamm an einem Tisch ab. Treuer Begleiter ist zudem die bunte Harlekin-Mütze mit den Glöckchen. „Die muss der Verlierer so lange tragen, bis ein anderer verliert.“ Die längste Tragezeit waren vier Stunden.
Eine weitere Marke erreichte der DC Harlekin 2008: „Weltrekord gebrochen“, steht auf einem Schild, auf das Seidl zeigt. Acht Spielern gelang es, an zwei Automaten 24 Stunden am Stück zu spielen. Wenn jemand aufs Klo musste, sprang ein anderer ein. Dabei überboten die Harlekiner punktemäßig den bisherigen Weltrekord. Weil die Sache im Radio lief, drängten sich viele Schaulustige und Polizisten um das Stüberl. „Die Straße war voll“, erinnert sich Seidl. Darts bringt eben die Leute zusammen. Demokratisch, gesellig. Einfach eine riesige Gaudi.
MARLENE KADACH