Das Rekord-Kreuz von Gundelfingen

von Redaktion

Höchster Kirchturm bald in Barcelona statt in Ulm – Schuld sind Schwaben

Die Sagrada Família wird künftig elf Meter höher sein als das Ulmer Münster.

Das Ulmer Münster hat den höchsten Kirchturm der Welt – aber nicht mehr lange.

100 Tonnen Edelstahl: Mitarbeiter schweißen in Gundelfingen an einem Kreuzteil, das im nächsten Jahr in Barcelona montiert werden soll. © Elxeneize/IMAGO, Hettrich/IMAGO

So soll es mal aussehen: Projekt-Logistik-Manager Jonas Weißenburger von der schwäbischen Firma Gartner mit einer Skizze des begehbaren Kreuzes für die Sagrada Família in Barcelona. © Beschnitt/kna (2)

Gundelfingen an der Donau – Das klingt nicht gerade kirchentauglich: Aus einem Radio röhrt Rockmusik, immer wieder knistern Schweißgeräusche, es gleißt und grellt, ein beißender Geruch erfüllt die Nase. Aber noch ist die Kirche ja auch fern, genauer gesagt die Sagrada Família im spanischen Barcelona. Die weltberühmte katholische Basilika des Architekten Antoni Gaudí, an der seit 1882 gebaut wird, soll bald um eine Attraktion reicher werden – um eine Attraktion, die derzeit im bayerisch-schwäbischen Gundelfingen an der Donau entsteht.

Es geht um das Kreuz für den Jesus-Turm des Gotteshauses. 172,5 Meter hoch soll diese Konstruktion am Ende in den Himmel ragen. Das Kreuz allein misst 17 Meter Höhe und 13 Meter Breite, rund 100 Tonnen ist es schwer und von innen begehbar – so jedenfalls der Plan. Noch wird an dem Stück gewerkelt, und zwar beim Gundelfinger Fassadenbau-Spezialisten Josef Gartner. Der Auftrag bedeutet nichts weniger als einen neuen Weltrekord. Denn bisher hält den Titel des höchsten Kirchturms der Erde das Ulmer Münster: Es kommt auf rund 161,5 Meter. Die Sagrada Família wird etwa elf Meter höher sein.

Zu verdanken hat sie das Männern wie Tim Hertle und Stefan Weißhaupt. Die beiden Konstruktionsmechaniker stehen in der Werkhalle, gerade sind sie mit einem Arm des Kreuzes beschäftigt und überprüfen dessen Rahmen. Das Schwierigste bei der Herstellung? „Das Bohren“, antwortet Hertle, das Material sei super hart. „Da sind schon einige Bohrer draufgegangen“, fügt sein Kollege hinzu. „Das Kreuz ist aus Duplex-Edelstahl“, sagt Projekt-Logistik-Manager Jonas Weißenburger. „Das rostet in 1000 Jahren nicht.“

Neben dem Stahl-Skelett stammen auch die Entwicklungs- und Designarbeit sowie das Projektmanagement aus Gundelfingen, sagt Weißenburger. „Die Idee selbst geht aber auf Gaudí zurück. Zu seinen Lebzeiten hätte man sie allerdings technisch nicht umsetzen können.“ Dass sie rund 99 Jahre nach seinem Tod Wirklichkeit wird, ist Weißenburger zufolge auch weiteren Spezialfirmen zu verdanken: „Unser Skelett wird demnächst in Westfalen in Ultra-Hochleistungsbeton gegossen. Miteinbetoniert werden dabei in Spanien produzierte Keramikplatten für die Außenseite.“

Dann kommen die Teile des Kreuzes nach Barcelona. „Dort werden Fachleute von uns die ebenfalls in Spanien hergestellten Gläser einbauen.“ Ein Teil kehrt aber noch mal nach Gundelfingen zurück. Denn das ansonsten geschlossene Kreuz bekommt dann noch eine Ausstiegsöffnung für Putz- und Wartungsarbeiten.

Via Schwerlaster und Schiff werden die Bauteile dann zur Sagrada Família gebracht, dort ab Ende August per Hochkran zusammengesetzt und durch Schraubverbindungen auf der Basilika und aneinander befestigt. Anfang 2026 dürfte das Kreuz äußerlich fertiggestellt sein – und dann noch ein Jahr vergehen, bis die Öffentlichkeit darin von der Aussichtsplattform den Blick aus 164 Metern Höhe genießen kann.

Das Unternehmen aus dem kleinen Gundelfingen wirkt also an einem Welt-Monument mit. Was denkt man da bei der Arbeit? Das sei schon besonders, findet Stefan Weißhaupt, der Konstruktionsmechaniker. „Man merkt, das zieht größere Runden, man wird viel drauf angesprochen“, erzählt er. „Mei, du bist halt ein Teil von was Größerem!“

Wobei Gartner Erfahrung mit Top-Architektur hat. Finanziell ist das Kreuz der Firma zufolge ein eher kleiner Auftrag, die Rede ist von einem unteren zweistelligen Millionenbetrag. Ansonsten war das Unternehmen etwa an der Hamburger Elbphilharmonie beteiligt, an der Münchner BMW-Welt und am Tempel der Bahai-Religion in Santiago de Chile.

Nun kommt mit der Sagrada Família ein weiteres Glaubensgebäude ins Portfolio. Und ein anderes – das Ulmer Münster – verliert dafür seinen Weltrekord. Nein, man habe deshalb aus der Nachbarschaft keine bösen Briefe bekommen, versichert Weißenburger. Und dann tröstet der Schwabe die Schwaben: „Ulm behält doch den höchsten evangelischen Kirchturm der Welt. Und andersherum bleibt der höchste Kirchturm der Welt ja schwäbisch.“
CHRISTOPHER BESCHNITT

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