Umstrittene Abschüsse: ein Rehbock am Rand einer Waldlichtung. © Zoonar/PA
München – Ein Vorstoß des Bayerischen Jagdverbands sorgt für Kopfschütteln unter den Experten. Selbst vom eigenen Verbündeten bekommt Jagdverbands-Präsident Ernst Weidenbusch keine Unterstützung. Das Präsidium von Weidenbuschs Verband BJV hatte am Wochenende bei einer Klausurtagung einstimmig beschlossen, sich für die Abschaffung des Grundsatzes „Wald vor Wild“ im Bayerischen Waldgesetz zu positionieren (wir berichteten). „Weg mit Wald vor Wild“, lautete die plakative Forderung.
Den Grundsatz gibt es seit Juli 2005. Er wurde erst 2023 im sogenannten Waldpakt zwischen der Staatsregierung und den Waldbesitzern als „aktueller und wichtiger als je zuvor“ bewertet. Das Ökosystem Wald müsse Vorrang vor Einzelinteressen an hohen Wildbeständen haben. Weiter heißt es in dem Waldpakt, dass zu hohe Schalenwildbestände – gemeint ist Rot-, Reh- und Gamswild – zu Lasten von Baumarten gehen, auf die stabile Wälder dringend angewiesen seien. Die Staatsregierung bekenne sich daher zum Grundsatz „Wald vor Wild“. Genau das wiederholt Forstministerin Michaela Kaniber (CSU) als Reaktion auf den Jagdverband. „Der Waldpakt, der auch in den aktuellen Koalitionsvertrag aufgenommen wurde, ist damit Regierungsgrundlage für beide Regierungsfraktionen“, betont sie auf Anfrage unserer Zeitung.
Beim Bund Naturschutz löst der Vorstoß von Weidenbusch blankes Entsetzen aus. BN-Waldreferent Ralf Straußberger spricht von einem „Frontalangriff“ auf die Waldbesitzer. Der Jagdverband stelle sämtliche bewährten Grundsätze des Waldumbaus infrage. Das sei „ein klassisches Eigentor“, mit dem sich die BJV-Spitze von den Waldbesitzern und auch der Politik isoliere. Besonders erzürnt ist Straußberger, dass der BJV die Aussagekraft der Forstlichen Gutachten für die 750 Hegegemeinschaften in Bayern in Zweifel zieht. In diesen Gutachten, die alle drei Jahre erstellt werden, ist der Verbisszustand nach stichprobenartigen Waldbegehungen erfasst. Forstministerin Kaniber hatte im jüngsten bayernweiten Gutachten Ende 2024, für das exemplarisch 21 000 Verjüngungsflächen mit über zwei Millionen junger Bäume untersucht wurden, unter anderem den Verbiss an Jungbäumen im Bergwald als „fatal“ bezeichnet.
In einem am Montag veröffentlichten Positionspapier wiederholt Weidenbusch jetzt seine Forderung, das „mehrere Millionen Euro teure“ Gutachten von Grund auf umzukrempeln und alle möglichen Kriterien zu berücksichtigen, etwa Bodenbeschaffenheit, Wasserführung, ja selbst Freizeitnutzung und Rückeschäden.
Die Gutachten hätten sich bewährt, sagt Straußberger hingegen. Würden die daraus abgeleiteten Abschusspläne eingehalten, gebe es Erfolge. Er verweist auch auf alarmierende Analysen zum Waldzustand insgesamt. Während sich der Wald in Ober- und Niederbayern erhole, gebe es in Nordbayern viele Schäden. Aktuell am gravierendsten seien „riesige Kahlflächen“ in Frankenwäldern rings um Kronach und Hof, wo Fichtensterben ohne Waldverjüngung zu beobachten sei. Im Waldzustandsbericht vom Dezember 2024, der die Schäden ausgewachsener Bäume bewertet, warnte Kaniber damals: „Trotz ergiebiger Regenfälle: Die Gesundheit der Waldbäume hat sich nicht verbessert.“
Von einem engen Verbündeten, dem auch für die Jagd zuständigen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW), bekommt Weidenbusch diesmal keine Unterstützung. „Wir dürfen nicht weiter Zeit verlieren mit Diskussionen und Wortinterpretationen“, mahnt Aiwanger gegenüber unserer Zeitung. Am Grundsatz „Wald vor Wild“ möchte Aiwanger nicht rühren. Stattdessen sagt er: Wälder müssten besser durchforstet werden, damit mehr Licht reinkomme für junge Bäume „und die müssen dann durch richtige Bejagung vor zu viel Verbiss bewahrt werden“. Er wolle mehr Eigenverantwortung für Jagdgenossen und Jäger und die Abschaffung von Rehwild-Abschussplänen, wo die Grundbesitzer das wollen. Schon mit diesen Vorschlägen zur Änderung des Jagdgesetzes beißt Aiwanger aber bei seiner Amtskollegin Kaniber auf Granit.
DIRK WALTER