Der Schriftzug leuchtet schon, jetzt soll es auch angeschlossen werden: das neue High-Tech-Stellwerk am Ostbahnhof. © DB
München – Es ist eine Inbetriebnahme in Etappen: Zwei Wochen lang wird der S-Bahn-Verkehr durch den Abnahme- und Inbetriebnahme-Prozess für das neue Stellwerk beeinträchtigt sein. Es soll das alte, störanfällige Relais-Stellwerk aus dem Jahr 1971 weitgehend ersetzen. Die Inbetriebnahme wurde zweimal um jeweils ein Jahr verschoben, jetzt aber gibt es kein Zurück mehr.
Es ist sogar schon der Termin für einen Festakt angesetzt: 26. Juni. Auch Ministerpräsident Markus Söder und DB-Infrastrukturvorstand Berthold Huber haben sich angekündigt. Aber bis dahin steht den neun hauptberuflichen Prüfern und den Mitarbeitern der S-Bahn München um ihren Chef Heiko Büttner ein hartes Stück Arbeit bevor – und den Fahrgästen Geduldsproben mit Einschränkungen und Sperrungen.
Los geht‘s am kommenden Wochenende: Am Freitag gegen 22.30 Uhr wird der S-Bahn-Verkehr auf der Stammstrecke und rund um den Ostbahnhof bis Riem, Giesing, Trudering und Johanneskirchen eingestellt.
Aber nur für eine Nacht: Ab Samstag 5 Uhr sollen – das ist Phase 2 – zumindest S2 und S3 zwischen Laim und Isartor in einem Pendelverkehr fahren. Die anderen Linien enden in Pasing (S6, S8), Heimeranplatz (S4) oder Hauptbahnhof (S1). Für die Prüfer beginnt nun die Hauptarbeit: Technisch gesehen wird nicht nur ein Stellwerk angeschlossen, sondern gleich zwei. „Wir splitten die Kontrollbereiche auf“, sagt ein Bahnsprecher. Sowohl am Ostbahnhof als auch weiter im Osten am Leuchtenbergring sind in den vergangenen Jahren zwei schmucklose, beige gestrichene Gebäude hochgezogen worden, die sozusagen Herz und Nieren des neuen ESTW – so die Kurzform für Elektronisches Stellwerk – beinhalten. Das am Ostbahnhof steuert künftig Weichen und Signale für den S-Bahn-Verkehr in der ersten Stammstrecke, das am Leuchtenbergring wird den Verkehr Richtung Osten regeln. Wenn die 2. Stammstrecke in gut zehn Jahren fertig ist, wird auch sie vom ESTW Leuchtenbergring aus gesteuert werden. Die Prüfer werden die Funktion der Signale und Weichen checken und auch die Anbindung an die Betriebszentrale, die sich in einem ufo-ähnlichen runden Gebäude an der Donnersbergerbrücke befindet. 8000 Abnahme-Prüfstunden sind einkalkuliert. Anders als im alten Relais-Stellwerk wird in den neuen ESTW niemand vor Ort sein – „es gibt nur einige Notdienst-Plätze“, wie der Bahnsprecher erläutert.
Die dritte Phase beginnt am Freitag, 13. Juni, gegen 5 Uhr. Dann sind alle Gleise wieder befahrbar, allerdings wird der S-Bahn-Verkehr insgesamt um ein Viertel reduziert, wie der Sprecher erläutert. S1 und S5 fahren weiterhin nicht auf der Stammstrecke, bei der S2, S3 und S8 entfallen Verstärkerzüge für den 10-Minuten-Takt. Während die Experten das neue ESTW überwachen, soll der Verkehr schrittweise hochgefahren werden – geplant ist zum Beispiel, dass die S1 ab Montag, 16. Juni, wieder wie gewohnt durch den Stammstreckentunnel fährt. Ab Donnerstagmorgen, 19. Juni, soll dann das volle S-Bahn-Programm gefahren werden – bis zu 1300 Zugfahrten pro Tag.
Dann stellt sich die Gretchenfrage: Wird das neue ESTW die Zahl der Störungen spürbar reduzieren? Die Pünktlichkeit der S-Bahn war 2024 auf einen neuen Negativ-Wert gefallen – im Schnitt nur 87 Prozent der Züge waren weniger als sechs Minuten zu spät, für einzelne Linien und auch zu Stoßzeiten wurde dieser Wert phasenweise noch weit unterboten. Nach Auswertung der Bayerischen Eisenbahngesellschaft war zu fast 60 Prozent defekte Infrastruktur (Störung Leit- und Sicherungstechnik, Weichen, Gleise, Bahnübergänge) die Ursache.
Nach einer Statistik der Bahn, die der Münchner SPD-Landtagsabgeordnete Markus Rinderspacher abgefragt hatte, gab es 2021 rund 1500 Störungen der Leit- und Sicherungstechnik, 140 davon ausgelöst durch das alte Stellwerk Ostbahnhof. Künftig ein Zehntel weniger Störungen sind nicht nichts, allerdings auch kein Wert, der den S-Bahn-Verkehr in eine neue Dimension katapultieren würde.
Übrigens: Das alte Relais-Stellwerk wird weiterhin benötigt: für die Steuerung des Zugverkehrs auf den Fernbahngleisen am Ostbahnhof – auf vorerst unabsehbare Zeit.