Die Wahrheit über das Zug-Unglück

von Redaktion

Burgrain: Gutachten entlastet die letzten beiden Angeklagten – Gericht prüft

Poröse Schwellen. © Bauhaus-Universität Weimar

Ein THW-Helfer inspiziert die Lage unter einem umgestürzten Waggon. © Sehr

Rettungskräfte an der Unglücksstelle. © Fellner

Garmisch-Partenkirchen – Genau drei Jahre nach dem Zug-Unglück von Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen hat die Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) ihren Abschlussbericht vorgelegt. Das Fazit des 120 Seiten umfassenden Berichts: Die beiden von der Staatsanwaltschaft München II angeklagten Bahn-Mitarbeiter werden entlastet. Es stellt sich nun die Frage, ob der Unfall mit fünf Toten, 16 Schwer- und 62 Leichtverletzten überhaupt für jemanden aus dem Bahnbetrieb juristische Folgen haben wird.

Am 3. Juni 2022 gegen 12.16 Uhr war die Regionalbahn RB 59 458 kurz nach der Abfahrt vom Bahnhof Garmisch-Partenkirchen in einer Kurve entgleist und teilweise umgekippt. Neben den Toten und Verletzten war auch der Schaden erheblich, den die BEU auf insgesamt 4,75 Millionen Euro beziffert. Die Strecke war monatelang gesperrt.

Wie jedoch kam es zum Unglück? Schon bekannt war, dass schadhafte Schwellen aus Beton zur Entgleisung führten. Das Gutachten bestätigt dies: Die an der Unglücksstelle verlegten und 14 Jahre zuvor von den Leonhard Moll Betonwerken im sächsischen Laußig hergestellten Betonschwellen hätten eine Rezeptur aufgewiesen, die „in Laufe der Liegedauer zu inneren chemischen Schadreaktionen führte“. Die chemischen Reaktionen hätten „teilweise deutliche Schädigungen“ verursacht. Wörtlich heißt es im Gutachten: „Die BEU wertet das Versagen der Struktur der Spannbetonschwellen als ursächlichen Faktor für das Ereignis“ – mit Ereignis ist das Zug-Unglück gemeint.

Die Crux an der Sache ist, dass niemand die innere Schädigung einer Betonschwelle von außen erkennen konnte. Auch dies führt das Gutachten aus. Betonschwellen wurden durch Instandhaltungspersonal regelmäßig „durch Augenschein“ überprüft. Doch diese „Sichtprüfung“ sei ungeeignet, zumal die Schwellen auch noch zum Teil durch Gleisschotter verdeckt seien. Immer wieder aufkommende Vermutungen, eine Unterspülung des Bahndamms habe zum Unglück geführt, weist die BEU klar zurück.

Dabei gab es Vorwarnungen. Am Abend vor dem Unglück gegen 20.15 Uhr hatte ein Triebfahrzeugführer (Tf) dem Fahrdienstleiter (Fl) in Garmisch-Partenkirchen eine Unregelmäßigkeit an der späteren Unglücksstelle gemeldet. Der Wortlaut ist in dem Gutachten originalgetreu wiedergegeben: „Griaß di“, sagt der Tf, „du pass auf.“ Zwischen Farchant und Garmisch gebe es „so a Schlenker“, „da hupft der Zug richtig, also irgendwie müssa da ma einer schaun ob da vielleicht a Gleislagefehler is oder nicht g‘scheit gstopft is.“

Diese Meldung, so hält das Gutachten fest, wurde offenbar nicht ernst genommen. Der Fahrdienstleiter antwortete zwar: „A ja, mhm, ja okay, i geb des weiter, gel.“ Doch genau das machte er nicht. Allerdings sei nicht zu beweisen, dass eine Meldung an der Sachlage etwas geändert hätte. Die Unglücksstelle sei erst zwei Tage zuvor durch eine „Fachkraft Oberbau“ inspiziert worden. Zudem seien danach noch mindestens zehn Züge über die Stelle gefahren – ohne dass es weitere Warnhinweise gegeben hätte. Daher habe sich der Fahrdienstleiter zwar nicht regelkonform verhalten, dies sei aber nicht als „ursächlicher“ oder auch nur „beitragender“ Faktor zu werten.

Der Fahrdienstleiter ist indes einer der beiden Angeklagten, gegen die vor dem Landgericht München II ein Prozess stattfinden soll. Ebenso angeklagt ist der „Bezirksleiter Fahrbahn“ bei der DB. Auch die sogenannten Instandhalter nimmt die BEU jedoch in Schutz. Erstens konnten sie die Schäden an den Schwellen von außen nicht feststellen. Zweitens seien sie „einer hohen Arbeitsbelastung und finanziellen Zwängen“ ausgesetzt gewesen. Hier gerät das Management vorgesetzter Stellen bei der damaligen DB Netz in ein schlechtes Licht. So habe der DB-Netzbezirk Murnau mehrmals die Notwendigkeit von Instandsetzungen angemahnt, sei jedoch gescheitert, unter anderem wegen eines fehlenden Bautrupps. Insgesamt rügt die BEU den „allgemein schlechten Gesamtzustand der Strecke“ – erst nach dem Unglück hat die Bahn reagiert, im großen Stil Schwellen ausgetauscht und an der Strecke insgesamt 100 Millionen Euro verbaut. Weiterhin gibt es jedoch Langsamfahrstellen.

Kommt es nun noch zum Prozess vor dem Landgericht? „Stand jetzt ist das Hauptverfahren eröffnet, die Termine werden zeitnah bestimmt“, sagt ein Gerichtssprecher.
DIRK WALTER

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