Thomas Warg (r.) zeigt den rätselhaften Brunnen.
Kreisheimatpfleger Thomas Warg an der Kapelle an der Staatsstraße. Hier spielt der Mythos der weißen Frau. © Dziemballa (2)
Ebersberg – Nichts als Bäume. Fichten, Eichen, Buchen, 15 Kilometer von West nach Ost, zehn Kilometer von Nord nach Süd. Der Ebersberger Forst ist das größte ununterbrochene Waldgebiet Deutschlands. Schon früher fuhr den Menschen ein Schauer über den Rücken, wenn sie ihn durchquerten. Kein Wunder, dass viele schaurige Sagen entstanden. Einer, der sich damit gut auskennt, ist Kreisheimatpfleger Thomas Warg. Der 66-Jährige wuchs in Zorneding am Waldrand auf. „Da gab es die Irrlichter, die als die Seelen unglücklich Verstorbener angesehen wurden“, erzählt er. „Für uns Kinder war es eine Mutprobe, nachts in den Wald zu gehen und die Irrlichter zu suchen.“ Dazu muss man wissen, dass es Hallimasch-Pilze gibt, die nachts fluoreszierend leuchten können.
Doch schon lange zuvor war es im Forst gruselig. „Graf Sieghart von Sempt jagte hier im 9. Jahrhundert einen riesigen Eber, der – wenn er ihn vor die Lanze bekam – plötzlich wie weggezaubert war“, berichtet Warg. Ein Eremit verriet dem Grafen: „Der Eber ist der Satan. Bau eine Kirche und eine Burg, um sie zu schützen, und der Zauber verfliegt.“ Gesagt, getan: Am Rand des Forstes wurde Ebersberg gegründet, der satanische Eber war weg. 934 schenkten die Grafen die Burg den Augustinern als Kloster. Der erste Probst erhielt auf einer Reise nach Rom von Papst Stephan VIII. die Hirnschale des Pest-Heiligen Sebastian, die in die Kirche kam. Die Wallfahrt florierte, da man sich bei allerhand Seuchen Hilfe vom Heiligen erhoffte. „Das Ritual bei der florierenden Wallfahrt bestand darin, dass Pilger aus der Hirnschale geweihten Wein tranken“, erklärt Warg. Bis 1923 fand das Ritual statt.
Nahe der Straße nach Markt Schwaben stolperte 2020 ein Förster über ein verwittertes Fundament mit Stahldeckel: ein Brunnen, der Archäologen und Historiker jahrelang beschäftigte. „Er ist zwölf Meter tief und wurde innerhalb eines halben Jahres gegraben und aus Flusssteinen ohne Mörtel aufgeschichtet.“ Die Datierung des Holzes zeigt die Jahreszahl 1411. Keiner weiß, wer den Brunnen gebaut hat, sagt Warg. „Hier führte die alte Salzstraße nach Unterföhring vorbei, die sich nach dem Abbrennen der dortigen Brücke 1156 durch Münchens Stadtgründer Heinrich den Löwen zur heutigen Bundesstraße entwickelte.“ Doch das war 255 Jahre zuvor.
In der Nähe spielt der bekannteste Mythos des Forstes, der der weißen Frau von der Kapelle an der Staatsstraße. „Sie erscheint und will mitfahren. Nimmt man sie mit, verschwindet sie wieder. Wenn nicht, taucht sie plötzlich auf dem Beifahrersitz auf und greift dem Fahrer ins Steuer, sodass er verunglückt“, erklärt Warg. Hintergrund soll der Tod einer jungen Mutter sein, die von einem Lkw-Fahrer überfahren und im Wald verscharrt wurde. „Seitdem sucht sie den Schuldigen“, sagt Warg. Die seit den 70ern belegte Legende ist längst Thema vieler Youtube-Videos. „Es gibt in den Akten aber keinen passenden Unfall.“ Wahr ist, dass es vor der Begradigung der Straße viele tödliche Unfälle gab, das beweisen Kreuze am Straßenrand. Er begegnete eines Nachts der weißen Frau tatsächlich: „Ich hielt an, stieg aus und wir schauten uns mit großen Augen an. Dann kam ein Mann mit einer Videokamera aus dem Wald.“