Münchner legten Blumen vor dem Laden nieder.
Tochter Lina (35) hält das Andenken hoch.
Ein Bild aus glücklichen Zeiten: Theodoros Boulgarides mit seinen Töchtern Lina (links) und Mandy. © privat (2)/Kurzendörfer
Erst zwei Wochen zuvor hatte er mit Freunden einen Schlüsselladen an der Trappentreustraße eröffnet. Dann wurde Theodoros Boulgarides von NSU-Terroristen mit drei Schüssen kaltblütig ermordet. Der 15. Juni 2005 war ein dunkler Tag in Münchens Geschichte – doch die Familie des Opfers hält das Gedenken an Boulgarides hoch und spricht anlässlich des 20. Todestages am Sonntag um 12 Uhr auf einer Gedenkveranstaltung am Stachus. Unserer Zeitung gibt Tochter Lina (35) vorab Einblicke in die Gefühlswelt der Familie.
Warum ist der Termin am Sonntag so wichtig?
Ganz einfach weil Erinnern total wichtig ist – und dass auch die Gesellschaft nicht vergisst. Es sind 20 Jahre seit dem Mord an meinem Vater vergangen, und es hat sich nichts getan in dieser Zeit.
Ist die Erinnerungskultur mangelhaft aus Ihrer Sicht? Oder die Aufarbeitung des Falles?
Vor allem die Aufarbeitung. Für uns ist beides wichtig, wir verbinden auch beides am Sonntag. Nicht nur das Erinnern, sondern auch ein Statement dazu, dass die Aufarbeitung nach wie vor aussteht.
Was ist der Punkt, der Sie beim Thema Aufklärung am meisten umtreibt?
Die Rolle des Verfassungsschutzes etwa. Für uns ist nicht klar, warum mein Vater getötet wurde. Also: Wer hat ihn ausgewählt, was war der Grund für die Tat? Es sind zu viele Fragen offen dafür, dass 20 Jahre vergangen sind. Wir als Familie finden, wenn man den Druck erhöht, auch gesellschaftlich, kann man vielleicht auch etwas mehr bewegen. Und es bietet sich auf jeden Fall an, nach 20 Jahren groß zu erinnern, noch mal alle ins Gebet zu nehmen, den Druck zu erhöhen.
Gerade bei solchen Terminen fragen sich viele Menschen, wie geht es Ihnen mittlerweile in der Familie nach so einem Verlust?
Man hat gelernt, damit zu leben. Aber die Fragen nach dem Warum treiben uns seit 20 Jahren um. Jeden Tag. Es sind immer dieselben Fragen, und wir können nicht abschließen, solange sie nicht geklärt werden. Man kann diesen Tod und den Verlust gar nicht endgültig ablegen und sagen, es ist jetzt so, weil einfach nichts geklärt ist. Wir finden nicht zur Ruhe.
Inwiefern ist Trauer dann wirklich möglich gewesen?
Nur eingeschränkt. Die Berichterstattung hat sehr viel dazu beigetragen, dass wir eben nicht trauern können. Weil eine mögliche Kriminalität der Opfer in den Vordergrund gestellt wurde. Uns wurden Jahre gestohlen – Jahre, in denen wir damit zu tun hatten zu erklären, „nein, das stimmt nicht, und so war es nicht“ – also auch den eigenen Namen wieder reinzuwaschen. Dadurch war einfach jahrelang keine Trauer möglich in dem Sinne.
Wie lief das in der Familie ab?
Ich bin die jüngere Tochter und war damals 15 Jahre alt. Meine Mutter erinnert mich oft daran, dass es eine Situation gab, in der ich sie gefragt habe, ob ich meinen Vater wirklich kannte. Einfach, weil die Berichterstattung so negativ ausgelegt war, dass ich als Jugendliche damals an einen Punkt gekommen bin, dass ich gezweifelt habe. Das macht viel mit einem, auch mit dem Kopf, und so konnte man nicht trauern.
Welches Gedenken über Ihren Vater würden Sie gerne heute weiter am Leben halten?
Seine Lebensfreude. Er war fröhlich. Deswegen wird diese Gedenkveranstaltung auch nicht den Fokus auf die Trauer haben, sondern es soll Musik gespielt werden, es gibt auch eine Tanzeinlage. Mein Vater hat sein Leben geliebt, er hat sein Leben gefeiert, und das ist uns wichtig. Wir wollen erinnern, aber eben auch im positiven Sinne.
INTERVIEW: ANDREAS THIEME