Hilfe für Bauern in Not

von Redaktion

Mehr Fälle von Tierskandalen: Oft sind Landwirte überlastet

Ein Kalb streckt seinen Kopf durch die Stallbretter. Zuletzt gab es auf oberbayerischen Höfen mehrere Tierskandale. © dpa

München – Vernachlässigt, verhungert, verdurstet: Kontrolleure fanden Anfang Mai 80 tote Ziegen auf einem Hof am Ammersee. Der Familienbetrieb ist in der Region bekannt, die Bauern verkaufen ihren Käse auf Wochenmärkten, bald sollte der größere Stall für 240 Tiere fertig sein. Nun ist alles anders. Das Landratsamt Landsberg brachte die 41 noch lebenden Tiere in einen Notstall, ein Tierhalteverbot wird geprüft.

Es ist der jüngste Fall von einem Hof in extremer Schieflage – aber längst nicht der einzige. 33 tote Rinder in einem Stall in Rimsting, Kreis Rosenheim, im Mai 2023. 400 tote Hühner in Söchtenau, ebenfalls Kreis Rosenheim, Anfang 2024. Im März 50 tote Rinder und Schafe in Griesstätt. Im April neun tote Rinder in Bad Aibling. Die Grünen im Landtag sprechen von einer Serie von Tierschutzskandalen. Und auch bei Peter Bartlechner von der Bäuerlichen Familienberatung des erzbischöflichen Ordinariats München und Freising schlagen immer mehr Fälle auf.

Er ist gerade wieder auf dem Weg zu einem landwirtschaftlichen Betrieb in Oberbayern, der vor Kurzem in den Schlagzeilen war. Dort hat eine Mischung aus Überbelastung und psychischer Belastung zu den Missständen geführt. Mehr will er nicht sagen, aber so viel steht fest: Das Muster ähnelt sich meistens. „Oft wollen die Leute sich nicht mit ihren Problemen auseinandersetzen“, sagt er, der mit 15 Ehrenamtlichen 160 Familien im Jahr betreut. Was ihm auffällt: Immer mehr Landwirte haben psychische Probleme. 2023 sei das bei jedem vierten bis fünften Fall, den er beraten hat, so gewesen. Jetzt bei jedem zweiten.

Die Bandbreite an Problemen ist groß. Gibt es einen Nachfolger? Lohnt sich eine Investition? Welche Auflagen kommen als Nächstes? Rentiert sich das alles noch? Innerfamiliäre Streitigkeiten: zwischen den Eheleuten, zwischen den Alten und den Jungen. Daraus können Depressionen, Burn-outs entstehen. Das große Arbeitspensum der Landwirte macht es nicht einfacher, Lösungen oder Auswege zu finden: „Wer bis zehn Uhr abends arbeitet, der hat keine Energie mehr, am Abend neue Dinge zu überlegen.“ Die letzte Stufe sei, dass der Bauer seine Tiere verwahrlosen lässt. „Vorher schon verwahrlost der Landwirt emotional.“ Viele Landwirte seien überfordert, denken: Noch mehr Arbeit, dann klappt es irgendwie. Er kennt Landwirte, die im Morgengrauen aufstehen, in den Stall gehen, das Vieh versorgen. „Das kriegen sie noch hin.“ Aber wenn dann mittags die Kinder aus der Schule kommen, geht einfach nichts mehr.

Kommen Kontrolleure und finden – oft nach Hinweisen – verwahrloste oder verendete Tiere, ist das ein Desaster für die Familien: „Scham ist ein großes Thema“, sagt Bartlechner. Manche Höfe sind seit Jahrhunderten in Familienhand, die Verantwortung übergroß: „Der Bauer fragt sich: Soll ich der sein, der das Licht ausmacht?“ Und wenn die Behörden den Stall räumen, was bleibt dann noch? Der finanzielle Ruin droht. Viele Landwirte, die das erleben, brechen laut Bartlechner psychisch zusammen.

Auch Paul Knoblach kennt die Probleme. Er ist Sprecher für Tierschutz der Landtags-Grünen, war lange selber Landwirt. „Landwirtschaft ist per se kein leichtes Geschäft“, sagt er. „Tierhaltung ist besonders schwierig.“ Die Grünen machen die Staatsregierung verantwortlich für ein „schwarzes Jahr für den Tierschutz in Bayern“. Die Veterinärbehörden seien unterbesetzt, Kontrollen fänden zu selten statt. Knoblach schlägt eine Tiergesundheitsdatenbank vor, in der Informationen von Tierärzten, Molkereien und Tierkörperverwertungsanlagen zusammenlaufen – ein Frühwarnsystem. „Diese Daten muss man zusammenführen und einsehbar machen für die Veterinärämter“, sagt Knoblach. „Dann wüsste man genau, wo man hin muss.“

Das für die Kontrollen zuständige Umweltministerium verweist auf 100 Stellen für Amtstierärzte, die geschaffen wurden. Veterinärkontrollen finden risikoorientiert und anlassbezogen statt. Eine 100-prozentige Sicherheit gebe es aber nicht. Bartlechner betont, wie wichtig es ist, dass Landwirte sich bei Problemen rechtzeitig Hilfe holen. Er berät bei Generationen- oder Partnerschaftskonflikten, Hofübergaben, psychischen Belastungen, Alkoholmissbrauch, Tod, Trauer. Der erste Schritt sei schwer. Aber er kann eine große Chance sein. CARINA ZIMNIOK

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