Wo Sonja Mayer ist, wird gelacht. Die Seniorinnen Annegret Mayr (l.) und Wilma Fendt kennt sie lange. © Dagmar Rutt
Gräfelfing – Erna Seibt* lässt ihren Rollator heute mal stehen. Mit dankbarem Lächeln hakt sie sich bei Sonja Mayer ein und lässt sich zu einem freien Stuhl führen. Vor ein paar Stunden dachte sie noch, heute würde sie nichts und niemand aus ihrem Zimmer im Seniorenheim St. Gisela bringen. Viel zu schwül ist es an diesem Tag für die 85-Jährige, alles kostet zu viel Kraft. Doch jetzt sitzt sie in der Hauskapelle und freut sich darauf, dass gleich der wöchentliche Gottesdienst beginnt. Sie hatte mal wieder unterschätzt, dass die Energie von Sonja Mayer für zwei reicht. Oder auch für ein gesamtes Altenheim.
Die 79-Jährige schenkt den Senioren seit über 20 Jahren ihre Zeit. Eigentlich wollte sie ja damals den Erlös eines Hobbykünstlermarkts spenden. Ihre Tochter bediente im Café im Heim, Mayer half ihr gelegentlich – und beobachtete, dass es Senioren gibt, die nie Besuch bekommen. Sie wollte etwas gegen die Einsamkeit im Alter tun – und fand sofort eine Mitstreiterin, die mit ihr die Initiative „Zeit statt Geld“ gründete. Ehrenamtliche besuchen die Senioren in St. Gisela, gehen mit ihnen spazieren, lesen vor, hören zu. Sie verschenken Umarmungen, Aufmerksamkeit und Trost. Anfangs hatte Sonja Mayer drei bis vier Mitstreiterinnen an ihrer Seite, mittlerweile sind es knapp 20. Sie arbeiten im engen Austausch mit der Sozialarbeiterin des Altenheims zusammen. „Sie sagt uns, wo Hilfe gebraucht wird.“ Manchmal organisieren sie auch einen Ausflug für die Senioren. Und immer mittwochs, wenn am Nachmittag im Heim ein Gottesdienst stattfindet, geht Sonja Mayer mit besonders viel Power durch die Stockwerke – weil sie weiß, dass einige ältere Menschen etwas Unterstützung brauchen, um sich aufzuraffen.
Frau Danner zum Beispiel. Sie sitzt allein in ihrem Zimmer, als Sonja Mayer an ihrer Tür klopft. „Gehen Sie heute mit mir in die Kirche?“, fragt Mayer. Und als sie sieht, dass die ältere Dame zögert, fügt sie hinzu: „Das kann uns doch nur guttun, oder?“ Sie streicht Frau Danner dabei über die Schulter – weil sie weiß, wie wichtig Berührungen im Alter sind. Und wie selten für einige Senioren. Sonja Mayer ist hier im Altenheim in ihrem Element. „Es macht mir so viel Spaß, Zeit mit den Senioren zu verbringen“, sagt sie. „Das möchte ich um nichts auf der Welt versäumen.“ Mindestens einmal pro Woche verbringt sie den Nachmittag hier, macht mit den Bewohnern Kreuzworträtsel, spielt Brettspiele oder sitzt mit ihnen in der Sonne und unterhält sich.
So viel Spaß Sonja Mayer dabei auch hat, sie weiß, wie wichtig dieses Ehrenamt ist. Fast jeder vierte Mensch über 75 leidet laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums an Einsamkeit. Mayer findet es unendlich traurig, dass einige Heimbewohner nie Besuch bekommen – und von selbst ihre Zimmer kaum verlassen würden. Dabei braucht es oft nur einen kleinen Anstupser, sagt sie. Zum Beispiel die 102-Jährige, die kaum noch sprechen konnte, aber so gern in der Sonne saß. Sonja Mayer hat jemanden gefunden, der sie regelmäßig besucht und sich neben sie auf die Bank setzt. „Auch wenn sie sich nicht unterhalten kann, man kann ihr ansehen, wie gut ihr die Gesellschaft tut.“
Auf dem Weg durch die Gänge begegnet Sonja Mayer nun Frau Würtz. Für den Gottesdienst kann sie die Dame nie begeistern, das weiß sie. Aber sie weiß auch, dass Frau Würtz gerne ausbüxt. Deshalb begleitet sie die Seniorin an einen Tisch im Speisesaal, wo es bald Abendessen gibt. Als Dankeschön gibt‘s für Sonja Mayer mal wieder ein Lächeln – nicht das erste und nicht das letzte, das sie an diesem Tag bekommt. Für sie die schönste Motivation für ihr Ehrenamt.
Sonja Mayer hat keine Angst vor dem Altwerden, sagt sie. Und vor der Einsamkeit schon gar nicht. „Ich weiß ja, dass ich immer hierher kommen kann“, sagt sie. Momentan lebt sie mit ihrer Tochter und ihren beiden Enkeln zusammen. Der Jüngste ist 4, ihm sollte sie neulich versprechen, dass sie mindestens 104 Jahre alt wird. „Ach, das lassen wir lieber“, sagte sie. Und er antwortete: „Ich pfleg dich dann, Oma.“ Es scheint, als hätte sie ihm ihre Begeisterung dafür, Zeit mit Senioren zu verbringen, weitergegeben.
Mittlerweile hat Sonja Mayer alle Senioren, die sie motivieren konnte, in der Kapelle. Auch sie selbst nimmt Platz. Bevor der Pfarrer mit dem Gottesdienst beginnt, kann sie beobachten, wie zwei ältere Damen, die zufällig nebeneinandersitzen, ins Gespräch kommen und lachen. Das sind die schönsten Momente für Sonja Mayer. Manchmal braucht es nicht viel, und die Einsamkeit ist besiegt. *ALLE NAMEN DER SENIOREN GEÄNDERT