Für einen behutsamen Umgang mit den Bergen: Georg Bayerle. © Oliver Bodmer
Wer am Sonntag kurz nach 6 Uhr „Rucksackradio“ auf Bayern 2 einschaltet, hat gute Chancen, Georg Bayerle (58) zu hören. Seit 20 Jahren liefert er Beiträge über Bergtouren. Dabei wirbt der Journalist für achtsamen Bergtourismus – eine Haltung, die er nun in einem Buch zeigt: „Der Alpen-Appell. Warum die Berge nicht zum Funpark werden dürfen“ (Tyrolia Verlag, 20 Euro).
Herr Bayerle, in der Schweiz ist ein ganzes Dorf verschüttet worden. Sie waren gerade erst vor Ort. Ist Ihr „Alpen-Appell“ nicht überholt, ist es nicht schon zu spät für unsere Berge?
Nein, im Gegenteil. So ein Ereignis wie in Blatten zeigt ja gerade, wie wichtig das ist, was ich im „Alpen-Appell“ schreibe. Mich hat selten etwas so hautnah berührt, ein Gänsehaut-Moment. Das Tal ist im Frühsommer wunderschön, blühende Wiesen, verschneite Berggipfel. Und jetzt fräsen sich da gewaltige Mengen an Schutt und Eis über 1000 Höhenmeter über die Bergflanke ins Tal und verschütten ein ganzes Dorf.
Ziel des Buches ist es, zu einem behutsamen und reflektierten Umgang mit den Bergen anzuregen. Andererseits machen Sie einem als Bergjournalist die Berge schmackhaft. Ein Widerspruch, oder?
Mit dieser Kritik werde ich oft konfrontiert, und sie ist nicht unbegründet. Die Berge sind einer der letzten großen Freiräume für den Menschen, ein Erholungsraum, in dem wir uns frei bewegen können. Wo man achtsam wird, wo die Luft gut ist, eine Ressourcenquelle für Wasser – fast der halbe Kontinent hängt am Wasser, das aus den Alpen kommt. Natürlich sollen Menschen das erleben. Aber in meinen Beiträgen geht es nie nur darum, dass wir Spaß haben sollen – sondern es geht immer um das Miteinander von Mensch und Natur und die Aufmerksamkeit für die Besonderheiten der Gebirgslandschaft.
Was ist für Sie ein sensibler Umgang? Es geht ja schon mit der Anfahrt los – mit der Bahn oft nicht machbar.
Da möchte ich widersprechen. Von München aus fahren in alle Richtungen gute Züge. Von Immenstadt im Westen bis Berchtesgaden im Osten ist alles gut erreichbar. Es gibt etliche Bahn-Berg-Tourenführer, etwa von Michael Vitzthum „Natürlich mit Öffis!“, oder das Bergtourenportal „Bahn zum Berg“ mit vielen Tipps und aktuellen Fahrplänen hinterlegt. Bei Zwei-Tages-Touren wird es richtig interessant.
Zum Beispiel?
Ich fahre zum Beispiel mit der Bahn nach Oberstaufen im Westallgäu, dann mit dem Bus nach Steibis. Von dort zum Hochgrathaus zum Übernachten. Am nächsten Tag gehe ich eine echte klassische Gratüberschreitung über die Nagelfluhkette bis zum Mittag, von dort geht‘s runter nach Immenstadt und zurück mit der Bahn.
Der private Georg Bayerle fährt mit der Bahn?
Natürlich nicht immer, das gebe ich zu. Aber ich habe das umgestellt. Im vorvergangenen Winter habe ich drei Skitouren komplett mit der Bahn auch nach Österreich gemacht. Die Nagelfluhkette im Allgäu war Thema eines Films, wobei auch das ganze Kamerateam mit der Bahn angereist ist. Es geht auch nicht um ein Entweder-Oder; wenn alle etwas besser machen, dann ist es in der Summe viel. Mir ist noch etwas wichtig: Für „Bergauf-Bergab“-Filme habe ich noch nie einen Hubschrauber verwendet, auch nicht in der Watzmann-Ostwand, mit 1900 Metern Höhenmetern ja eine Hammertour.
Die Gemeinden in den Bergen leben vom Tourismus. Geht die Verschandelung der Alpen mit Fünf-Sterne-Wellnesshotels und immer leistungsstärkeren Seilbahnen, mit Skipisten und Schneekanonen ungebremst weiter?
Das kann man nicht mit Ja und Nein beantworten. Es gibt diejenigen, die sich dem sanften Tourismus verschrieben haben, etwa die Bergsteigerdörfer, die keine technischen Ausbauten und großen Hotels wollen. Es gibt die High-End-Tourismusgebiete, die nicht nur den Wintertourismus extrem technisch ausgebaut haben, sondern auch den Sommertourismus.
Beispiel?
Zwei Gebiete, die in den letzten Jahren quasi umgekrempelt wurden, sind Mayrhofen im Zillertal und Silvretta/Montafon, wo mehrere hundert Millionen Euro investiert wurden – in Bahnen, Speicherbecken, hunderte von Schneekanonen. Ischgl oder Sölden gehören auch in diese Kategorie.
Sollte man diese Orte schlicht boykottieren?
Nein, so weit würde ich nicht gehen. Ich verzichte in dem Buch auf radikale Forderungen. Aber die Gäste sollten sich bewusst entscheiden, was sie wollen. Die allerwenigsten machen sich leider Gedanken über Ausbaugrenzen und suchen sich ihre Urlaubsgebiete nach Umweltkriterien aus.
Sie führen ein Bergtagebuch. Wie viele Berggipfel haben Sie denn bestiegen?
Knapp 600 Verschiedene, der höchste ein Sechstausender in den Anden; auf vielen war ich mehrfach, wie auf der Gehrenspitze in den Tannheimer Bergen, mehr als zehn Mal.
Und ist das auch Ihre Lieblings-Bergregion?
Meine Bergheimat sind die Lechtaler Alpen südlich von Reutte. Da bin ich groß geworden. Das ist das Wildeste, was ich kenne. Das Glück ist, dass sie durch ihr extremes Profil Zähne zeigen und verschont geblieben sind vom Massentourismus.
TV-Tipp
Am 6. Juli gibt es im BR-Fernsehen in „Bergauf-Bergab“ (18.45 Uhr) eine filmische Liebeserklärung Bayerles an seine Lieblingsregion, die Lechtaler Alpen.