Mini-Mindestlohn für Saisonarbeit?

von Redaktion

Bundesagrarminister ist offen für eine Ausnahme für Spargelstecher und Co.

Harte Arbeit, niedriger Lohn: Gurken-Erntearbeitern schuften in Niederbayern. © Armin Weigel

München – Auf einem großen Spargelhof in Bayern war gestern Abreisetag. Die Spargelstecher haben nach monatelanger Schufterei ihre Sachen gepackt, sie fahren heim, die meisten nach Osteuropa. „Unsere Saisonarbeitskräfte haben gutes Geld verdient“, sagt eine Mitarbeiterin. Mehr will sie – wie viele andere Betriebe – nicht sagen zu dem Thema, das die Branche gerade bewegt: der Mindestlohn. Geht es um die Bezahlung von Spargelstechern, Erdbeerpflückern und Gurken-Erntearbeitern, die für wenig Lohn schwere Arbeit verrichten, ist schnell von Ausbeutung die Rede.

Der Deutsche Bauernverband hatte am Montag auf Ausnahmen vom Mindestlohn für Saisonarbeitskräfte gepocht. „Wir schlagen vor, dass sie 80 Prozent des gesetzlichen Mindestlohns erhalten“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied. Er mahnt seit Monaten, dass eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf ein Niveau von 15 Euro gravierende Folgen für die Landwirtschaft hätte. „Sollte dies ohne Ausnahmen für Saisonarbeitskräfte kommen, wäre das ein Strukturwandelbeschleunigungs- und Ausstiegsprogramm für viele Gemüse-, Obst- und Weinbaubetriebe“, sagte er nun. Der Bayerische Bauernverband schließt sich der Forderung an. Mit einer Anhebung auf 15 Euro stünde die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Landwirtschaft auf dem Spiel. Wer kauft teure Produkte aus Deutschland, wenn es dieselben billiger aus dem Ausland gibt?

Dem Bayerischen Bauernverband zufolge machen die Lohnkosten in der Obst- und Gemüseproduktion bereits heute rund 60 Prozent aus. Der Verband weist darauf hin, dass Deutschland einen der höchsten Mindestlöhne in Europa habe. „Italien hat beispielsweise gar keinen Mindestlohn gesetzlich verankert und in vielen Staaten Südeuropas liegt der Mindestlohn zwischen sechs und acht Euro, in Bulgarien, Ungarn oder Lettland beispielsweise um die vier Euro“, heißt es auf Anfrage.

Derzeit liegt der Mindestlohn bei 12,82 Euro pro Stunde. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert 15,27 Euro je Stunde für 2026. Begründung: So würden EU-Vorgaben erfüllt, nach denen der Mindestlohn 60 Prozent des mittleren Einkommens eines Landes erreichen soll. In ihrem Koalitionsvertrag verzichteten CDU, CSU und Sozialdemokraten auf eine Vorgabe, nennen aber den Betrag von 15 Euro. Von einer Erhöhung wären laut Bayerischem Bauernverband besonders die arbeitsintensiven Kulturen des Obst- und Gemüseanbaus betroffen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind 28 Prozent der 875 900 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft Saisonarbeitskräfte.

Aus Berlin kommen nun Signale, die den bayerischen Erzeugern gefallen dürften: Bundesagrarminister Alois Rainer (CSU) ist offen für die Forderung, den Mindestlohn für Saisonarbeiter zu kürzen. „Meine Fachleute prüfen, ob es einen rechtssicheren Weg gibt, Ausnahmen vom Mindestlohn möglich zu machen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Bundesregierung stehe grundsätzlich zum Mindestlohn, aber er nehme die Sorgen der Obst- und Gemüsebauern sehr ernst, sagte der CSU-Politiker weiter. „Ohne die wichtige Unterstützung der Saisonarbeitskräfte könnten viele Betriebe ihre Ernte nicht einbringen“, fuhr Rainer fort.

Gewerkschaftsvertreter sind alarmiert von den Plänen. „Also wenn die Saisonarbeitskräfte dann auch nur noch 80 Prozent des Gesamtvolumens arbeiten müssen, bin ich mit dem Vorschlag einverstanden“, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt, Harald Schaum, ironisch. „Wieder soll bei den Arbeitskräften, die oftmals an der Armutsgrenze leben, gespart werden. Da sagen wir ganz klar Nein, daran wird nicht gerüttelt.“ Die Gewerkschaftsinitiative Faire Landwirtschaft weist darauf hin, dass es heute schon Ausnahmen für Arbeitgeber in der Landwirtschaft gebe, eine kurzfristige Beschäftigung sei beispielsweise unter bestimmten Voraussetzungen sozialversicherungsfrei. Zudem könnten die Betriebe die täglichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung direkt vom Lohn abziehen. Das werde „weidlich ausgenutzt“. Ein Sprecher der Initiative weist auf die Gefahr hin, dass Saisonarbeiter gar nicht mehr nach Deutschland kommen, wenn die Löhne zu niedrig sind. „Wer nimmt die schwere Arbeit und die Unterbringung in den wirklich nicht tollen Unterkünften dann noch auf sich?“ CARINA ZIMNIOK

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