INTERVIEW

„Die Lage im Wald ist angespannt“

von Redaktion

Ein Forstbetriebsleiter zieht nach 20 Jahren Staatsforsten Bilanz

Die Lage im Bergwald ist angespannt: der Ruhpoldinger Forstbetriebsleiter Joachim Keßler. © BaySF

Ruhpolding – Seit 20 Jahren gibt es die Bayerischen Staatsforsten, er ist von Anfang an dabei: Der Forstwissenschaftler Joachim Keßler ist Forstbetriebsleiter in Ruhpolding. Dort koordiniert er neun Revierleiter. Im Interview spricht er über die aktuellen und künftigen Herausforderungen für den Wald.

Herr Keßler, wie geht es dem Bergwald?

Die Lage ist angespannt. Wir sind schon mit wenig Schnee und Niederschlag aus dem Winter gekommen und hatten schnell hohe Temperaturen. Vor allem im Frühjahr brauchen die Bäume viel Wasser und Nährstoffe. Zwar bleiben am Alpenrand grundsätzlich die Regenwolken hängen und es regnet häufiger, aber es könnte heuer mehr sein.

Wie vertragen die Bäume die aktuelle Trockenheit?

Kiefer, Buche und Eiche halten mehr aus, eine Fichte ist empfindlicher. Klimaexperten sagen, dass extreme Wetterlagen zunehmen: Starkregen, aber auch lange Trockenphasen. Wenn es vier, fünf Wochen nicht regnet, stresst das natürlich die Natur – aber vor allem bei uns die Fichte, die dann vom Borkenkäfer befallen wird. Aktuell wachsen im Chiemgauer Bergwald noch zu zwei Drittel Fichten.

Die Fichtenbestände sollen reduziert werden. Naturschützer beklagen, das geht zu langsam…

Der Umbau wird bis zu 30 Jahre dauern. Es macht keinen Sinn, den kompletten Wald vollständig einzuschlagen und Mischwald anzupflanzen. Vielmehr geht das fast über eine Fichtengeneration hinweg mittels sinnvoller Lichtsteuerung. Ist eine Fichte weg, kommen die standortheimischen Arten wie Bergahorn oder Tanne hoch. Aber es tut sich gewaltig was. Wenn man sich Fotos von vor 30 Jahren anschaut und das vergleicht mit einer Ansicht von heute, sieht man ein ganz anderes Waldbild.

Was pflanzen Sie anstelle von abgeholzten Fichten?

Die Natur macht den größten Teil, wir ergänzen nur auf einem Teil: Lärche, Tanne, ein bisschen Buche, Bergahorn und gelegentlich auch Fichten. Entscheidende Funktion des Bergwalds in unserer Kulturlandschaft ist seine Schutzwirkung, etwa für ein Dorf, eine Straße – oder auch, weil er Rückhalteflächen für Wasser bietet, das sonst zu schnell ins Tal käme. Die Fichte hat den Vorteil, dass sie immergrün ist, das ist gerade im Winter ihr Vorteil. In einem Buchenwald liegen im Winter die Blätter auf dem Boden. Wenn im Steilhang der Nassschnee liegt, kommt dieser auf dem Laubteppich schnell ins Rutschen. Einzelne Fichten bremsen. Ab 1200 Metern kann der ursprüngliche Bergfichtenwald laut Experten weiterhin gut wachsen. Weiter unten wird es stark auf Buchenmischwälder hinauslaufen, weil es der Fichte zu warm und zu trocken wird.

Und die jungen Pflänzchen werden dann vom Wild abgefieselt… Wird im Bergwald zu wenig gejagt?

Die professionelle Jagd ist einer der Schlüssel für den Umbau hin zum Klimawald der Zukunft. Eine waldangepasste Jagd ist unverzichtbar. Wir haben hier keine Bären, Wölfe und Luchse mehr, das Wild hat keine natürlichen Feinde. Auf der normalen Jagdfläche bin ich nicht unbedingt dafür, die Jagdzeiten bei den Schalenwildarten zu verlängern – wichtiger wäre, dass man zum wildbiologisch richtigen Zeitraum im Jahr jagt. Auf den wenigen sanierungsbedürftigen Schutzwaldflächen muss weiterhin aber ganzjährig durch Abschuss vergrämt werden können.

Wie verträgt der Bergwald die vielen Menschen, die ihre Freizeit gerne in der Natur verbringen?

Hier im Chiemgau haben wir einen großen Druck auf die Waldflächen. Da soll auf einer begrenzten Fläche in aller Ruhe der Steinadler brüten können, gleichzeitig die Paraglider ihren Spaß haben. Die Tourismusgemeinden wollen, dass die Gäste Ski fahren und Skitouren gehen können. Gleichzeitig soll das Birkhuhn in Frieden seine Balz und Aufzug der Jungen vollziehen können. Weil wir das Gros der Flächen hier im Chiemgau bewirtschaften, obliegt es oft uns, diese Zielkonflikte zu managen, beispielsweise mit Lenkungsangeboten oder manchmal auch Betretungsverboten. Da wird dann mit Partnern ein Mountainbike-Trail ausgewiesen, für den dann aber ein anderes Gebiet in Ruhe gelassen wird. Gerade die Alpen sind letzte Rückzugsgebiete für selten gewordene Arten, zum Beispiel für Raufußhühner, für die wir eine besondere Verantwortung haben. Die allermeisten Waldbesucher verhalten sich aber schon rücksichtsvoll.

Die Staatsforsten sind aber ja kein Naturschutzverein, sondern ein Wirtschaftsbetrieb. Wie verträgt sich das?

Klar, wir versuchen trotzdem, auch noch Holz zu ernten und damit Erlöse zu erwirtschaften. Das wird uns oft vorgeworfen. Aber wir haben in den letzten 20 Jahren gezeigt, dass sich der Wald durch unsere Wirtschaftsweise verbessert hat. Der Chiemgau ist seit 450 Jahren stark vom Menschen geprägt. Man hat den Wald schon früh für Salzgewinnung stark abgenutzt, Vieh eingetrieben und jeden Stecken Brennholz entnommen. Der Wald ist mittlerweile wieder in einem so guten Zustand wie seit 450 Jahren nicht mehr. Das bestätigen uns aktuelle Waldinventuren. Den noch guten Zustand brauchen wir aber auch für die zukünftigen Klimaextreme.

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