Gymnasium verliert im Kruzifix-Streit

von Redaktion

Urteil nach Klage zweier Schülerinnen: Kreuz verletzt Glaubensfreiheit

Umstrittener Erlass: Markus Söder und sein Kreuz in der Staatskanzlei 2018. © Peter Kneffel/dpa

Jahrelanger Streit: Im Hallertau-Gymnasium in Wolnzach fühlten sich zwei Schülerinnen von Kreuzen gestört. © Wikipedia

Wolnzach/München – Es ist das Ende eines fast zehn Jahre anhängigen Rechtsstreits: Im Dezember 2015 beantragten die Eltern zweier Schwestern, die das Hallertau-Gymnasium in Wolnzach (Kreis Pfaffenhofen) besuchten, die Kreuze in der Schule zu entfernen. Sie sahen sich in ihren Gefühlen verletzt, das Kreuz sei ein Zeichen christlicher Missionierung. Ihre Kinder lebten dogmenfrei, nach humanistischen Grundsätzen und nicht religiös, so hatte es ihre Mutter schon vor Jahren begründet. Die Schule entfernte, wie es in solchen Streitfällen allgemein üblich ist, daraufhin schließlich die Kreuze in den Klassenzimmern, in denen die Schülerinnen unterrichtet wurden. Doch das 1,50 Meter große Holzkreuz mit Christus-Korpus im Eingang des Gymnasiums blieb hängen. Der Schulleiter weigerte sich, unter anderem mit dem Argument, das Toleranzgebot führe nicht so weit, dass Weltanschauungen von Minderheiten stets der Vorzug zu geben sei. Am Ende eines längeren Streits mit den Schülerinnen und ihrer Mutter empfahl er sogar, diese sollten doch die Schule verlassen.

Doch jetzt hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, nachdem sich die Richter im vergangenen Jahr das Kreuz persönlich vor Ort angesehen hatten, entschieden: Das Kruzifix muss weg – Schulleiter Christian M. Heller, dessen Vorgänger 1998 das Kreuz aufgehängt hatte, lag mit seiner Einschätzung falsch. Maßgeblich ist das Grundgesetz – Artikel 4 besagt: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“

Grund für die Entscheidung ist, dass es für Gymnasien (ebenso wie für Realschulen) kein Gesetz gibt, das das Anbringen von Kreuzen vorschreibt. Es gibt zwar den sogenannten Kreuz-Erlass von Markus Söder (CSU): 2018 hatte der Ministerpräsident mit großer Geste und sogar zum Ärger der Kirchen das Anbringen von Kreuzen angeordnet. Doch die dafür extra geänderte Allgemeine Geschäftsordnung für die Behörden in Bayern bezieht sich nur auf Dienstgebäude des Freistaats Bayern – ein Gymnasium ist jedoch, wie auch in Wolnzach, eine Einrichtung des Landkreises. Auch das Bayerische Unterrichtsgesetz greift nicht: Es ordnet zwar „angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns“ das Anbringen von Kreuzen in Schulräumen an – aber nur in Grund-, Förder- und Mittelschulen.

Es gab wohl viele unschöne Szenen an der Schule – „die Wunden, die der Konflikt ums Kreuz am Wolnzacher Hallertau-Gymnasium (…) tiefer und tiefer geschlagen hat, beginnen bei leisester Berührung zu bluten“, schrieb die Lokalzeitung. Die Schülerinnen haben die Schule längst verlassen, die ältere 2021, die jüngere 2023. Trotzdem sah das Gericht den Fall als so grundsätzlich an, dass es das Urteil nun extra per Mitteilung publik machte. „Aufgrund der Größe und der Positionierung des Kruzifixes im Schulgebäude waren die Klägerinnen dem Anblick des Kruzifixes zwangsläufig ausgesetzt“, heißt es im Urteil. Das Kruzifix sei nicht an unauffälliger, sondern exponierter Stelle am Stützpfeiler der Haupttreppe angebracht. Den Schülerinnen sei es nicht möglich gewesen, dem Kruzifix irgendwie „auszuweichen“. Auch könne eines „missionarische Wirkung“ des Kreuzes nicht ausgeschlossen werden.

In einem weiteren Streitpunkt bekamen die Schülerinnen hingegen nicht Recht. Sie hatten sich nämlich geweigert, den Schulgottesdienst zu besuchen, und mussten daraufhin auf Anordnung des Schulleiters einen Alternativunterricht zu Themen aus dem Fach Ethik besuchen. Verfassungsrechte der Schülerinnen würden dadurch nicht verletzt, so das Gericht.DIRK WALTER

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