Joe Bausch (72) ist Deutschlands bekanntester Knastarzt. 32 Jahre lang behandelte er hinter Gittern. Er spielt im WDR-„Tatort“ den Rechtsmediziner Dr. Roth. © Thissen/picture alliance
München – Wie krank muss man sein, damit der Staat auf Haft verzichtet? Was passiert, wenn ein Prominenter wie Alfons Schuhbeck entlassen wird – trotz Verurteilung? Joe Bausch (72) war mehr als 32 Jahre als Gefängnisarzt tätig. Im Interview spricht er über Promis hinter Gittern, Haftunterbrechungen und die psychologische Wirkung solcher Fälle.
Herr Bausch, kaum jemand kennt den Strafvollzug aus ärztlicher Sicht so gut wie Sie.
Wenige Menschen arbeiten wirklich in dem Bereich. Ich war über 32 Jahre dabei – in verschiedenen Gefängnissen, mit allen denkbaren Fällen.
Was muss passieren, dass ein Häftling aus gesundheitlichen Gründen entlassen wird?
Das ist schon eine harte Maßnahme. Da muss eine Krankheit vorliegen, die man mit den Mitteln des Strafvollzugs nicht angemessen behandeln kann. Oder eine Erkrankung, die eine so langwierige Therapie erfordert, dass man sagt: Das geht nicht, wenn der Patient ständig unter dem Damoklesschwert der Haft steht. Sehr viele Häftlinge genießen das nicht.
Im Fall von Alfons Schuhbeck ist es Krebs. Obwohl er wegen Steuerhinterziehung mehr als drei Jahre absitzen muss, ist seine Haft unterbrochen. Es geht also auch um Fürsorge?
Genau. Wir haben in Deutschland eine Garantenpflicht gegenüber Inhaftierten. Wir müssen die Patienten genauso behandeln wie draußen – und dürfen durch die Haft deren Gesundheit nicht über Gebühr gefährden.
Welche Rolle spielen Alter, Fluchtgefahr und Delikt?
Natürlich wird man bei einem 35-Jährigen, der eine lebenslange Haftstrafe bekommen hat, nicht mit 40 die Haft unterbrechen – der haut wahrscheinlich ab. Wenn jemand wie Schuhbeck alt ist, schwer krank und keine Fluchtgefahr besteht – dann kann man sagen: Wir lassen ihn zur Behandlung raus. Wenn es Fluchtgefahr gäbe, säße er ja in U-Haft. Dann wäre er gar nicht draußen.
Schuhbeck muss in eine onkologische Behandlung. Ist das im Gefängnis nicht machbar?
Das sind Dinge, die man im Gefängnis nicht alltäglich macht. Klar, man kann jemanden auch bewacht ins Krankenhaus bringen. Das passiert. Aber bei ihm kommt ja alles zusammen: Alter, Erkrankung, Bekanntheit, wirtschaftlicher Ruin. Wohin soll er noch flüchten?
Manche werden sich fragen: Warum darf ausgerechnet er raus?
Weil er eben kein Gewalttäter ist. Es geht hier nicht um Rache, sondern um Verbüßung. Und bei Betrugskriminalität ist es nicht ungewöhnlich, dass jemand auf die Verurteilung draußen wartet.
Gibt es das Konzept „Haftunfähigkeit“ noch?
Nein, das gibt es nicht. Aber die Möglichkeit einer befristeten Haftunterbrechung – abhängig vom Krankheitsverlauf. Die kann auch verlängert werden, so wie aktuell bei Schuhbeck. Oder widerrufen, wenn jemand sich nicht an Absprachen hält.
Die unterbrochene Haft muss Schuhbeck nachholen. Aktuell sind das schon fünf Monate.
Das ist das Fiese daran: Du bist krank, wirst behandelt, hast keine Lebensqualität – aber die Haftzeit läuft nicht ab. Ich hatte Fälle, da waren Häftlinge zwischenzeitlich länger in der Psychiatrie. Dadurch saßen sie am Ende noch Jahre länger ein.
In München ist Schuhbeck unbewacht, er kann sich frei bewegen.
Das ist das stärkste Mittel: Man lässt ihn unbeaufsichtigt seine Dinge regeln. Das wird alles vorher festgelegt – was erlaubt ist, was nicht. Aber es gibt auch andere Fälle, da sind Häftlinge über viele Hunderte von Tagen in auswärtigen Krankenhäusern bewacht und behandelt worden. Schuhbeck ist quasi an der etwas längeren Leine, aber die Leine ist nicht gekappt.
Wird er durch die Erkrankung milder beurteilt?
Er ist ja bereits einmal verurteilt worden. Was jetzt an Taten noch offen ist, wird vom Gericht im Rahmen einer Gesamtstrafe bewertet – aber auch da: Der Sinn ist nicht, jemanden fertigzumachen, sondern die Strafe zu vollstrecken. Und wenn jemand so krank ist, kann das zeitweise nicht gehen.
Gab es Fälle, wo das ausgenutzt wurde?
Klar. Es gab zum Beispiel einen Häftling im Rollstuhl, der hat so oft krank gemacht und es so lange übertrieben, bis man für ihn eine behindertengerechte Zelle gebaut hat. Dann war Schluss mit lustig.
Und bei wirklich schwer kranken Häftlingen?
Bei Krebs oder schweren Herzkrankheiten, da sagt man schon mal: Jetzt hat erst mal die Gesundheit Vorrang. Das ist der Sinn eines humanen Strafvollzugs. Wir wollen nicht rächen, sondern Menschen resozialisieren.
Ist das auch bei einem 76-Jährigen das Ziel?
Schuhbeck ist sozial top vernetzt gewesen. Was will man ihm noch beibringen? Da geht’s tatsächlich nur noch um Strafe. Und die wird durch die Haftunterbrechung ja nicht gestrichen.
Was wünschen Sie ihm?
Dass er nach diesem persönlichen Desaster wenigstens den Kampf ums Überleben gewinnen kann. Da braucht es alle Energie und Aufmerksamkeit, die er hat. Ich glaube, den Weg ist er auch gegangen.
Interview: Andreas Thieme