Sina Greiner und Sebastian König. © Kilian Pfeiffer
Seit 2023 beteiligt sich der Nationalpark Berchtesgaden federführend am bundesweiten Kadaverprojekt. Wildtierökologin Sina Greiner koordiniert das Vorhaben, unterstützt wird sie von Christian von Hörmann, einem der Pioniere der Aasforschung.
Die Liste der bisherigen Entdeckungen liest sich wie ein kleiner Sensationsbericht: So wurde erstmals die invasive Fliegenart Chrysomya albiceps im Nationalpark Berchtesgaden nachgewiesen, eine wärmeliebende Art, die bislang aus südlicheren Gefilden bekannt war, sagt Christian von Hörmann. Noch bedeutender sind zwei seltene Käferarten: Sphaerites glabratus und Necrophilus subterraneus, beides europaweit die einzigen Vertreter ihrer Gattungen. Solche Nachweise sollen zeigen, wie entscheidend Kadaver als Lebensraum für hochspezialisierte Arten sind. Insgesamt konnten bislang 168 nekrophile Käferarten erfasst werden, darunter 86 Arten von Kurzflüglern.
Begeistert erzählen die Forscher von ihren Erkenntnissen. „Ein Kadaver kann die Umgebung für bis zu 100 Jahre düngen“, sagt Sina Greiner. Die Veränderung im Bodenmilieu reiche bis zu fünf Meter über den ursprünglichen Kadaverstandort hinaus, erklärt Christian von Hörmann. Acht aktive Versuchsflächen werden aktuell im Nationalpark betreut. Dort liegen Rehe, die zuvor im Umfeld des Parks durch Wildunfälle zu Tode kamen. Die Tiere werden standardisiert ausgelegt, etwa in Wald, Offenland und auf verschiedenen Höhenstufen. Während der ersten Wochen erfolgt ein intensives Monitoring: mit Bodenproben, Temperaturdaten, DNA-Analysen von Pilzen, Mikrobiomen und natürlich Wildkameras. „Nach einem Monat wird das intensive Monitoring beendet, und nur die Wildkamera und der Datalogger für Temperatur und Luftfeuchtigkeit verbleiben für vier Monate weiter an der Versuchsfläche“, sagt Sina Greiner. „Nach insgesamt vier Monaten werden die Versuchsflächen wieder abgebaut.” Das Projekt läuft bis 2027.
An der öffentlich zugänglichen Aasstation im Klausbachtal können Besucher den Verwesungsprozess live beobachten. Der Zuspruch sei groß. Ekel werde meist von Neugier überlagert. Auch größere Tiere profitieren. Fotofallen haben an den Kadaverstandorten nicht nur Füchse, Marder und Kolkraben dokumentiert, sondern auch Steinadler, sagt Christian von Hörmann. In Zeiten knapper natürlicher Beute können Kadaver gerade im Winter eine überlebenswichtige Rolle spielen. „Das Angebot kann zur Stabilisierung dieser Populationen beitragen“, sagt von Hörmann. KILIAN PFEIFFER