Kutscher Wili Müller bringt Besucher zum Schloss.
Glückliche Besucher vorm Schloss Neuschwanstein. Diese vier Engländer haben sich rechtzeitig Tickets besorgt. © Isabel Winklbauer (2)
Füssen – „Es ist Juli, Sonntag, tolles Wetter, und wir sind Weltkulturerbe – klar ist heute jede Menge los!“ Die Sicherheitsdame am Schlosseingang hat alle Hände voll zu tun und vor allem auch alle Augen. Nicht dass jemand durchhuscht. Eine lange Schlange von Besuchern steht vor dem Schlosstor, und das Problem ist: Die Hälfte davon hat keine Eintrittskarte. Sie muss jedem zweiten sagen, dass er leider nicht hereindarf, nicht mal in den Schlosshof, um sich umzuschauen, und dass es hier oben auch keine Kasse gibt. Neuschwanstein ist seit einem Tag Weltkulturerbe und beliebter als je zuvor.
Es ist eine Entscheidung, die jeder erwartet hat, und die doch hohe Wellen schlägt. „Die Aufnahme der Schlösser in die Welterbeliste ist eine herausragende Würdigung dieser eindrucksvollen Orte“, sagt zum Beispiel die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Maria Böhmer. Bayerns Ministerpräsidentin Markus Söder spricht von einem „Märchen“, das wahr werde, als die Wahl am Samstag bekannt wird. Finanzminister Albert Füracker sagt, damit seien die Schlösser jetzt auf einem Niveau mit der Akropolis in Athen oder Schloss Versailles. Der Freistaat hat mit den vier Schlössern jetzt elf Weltkulturerbe-Stätten. 1981 machte die Würzburger Residenz den Anfang. Michael Petzet, einst Bayerns oberster Denkmalschützer, hatte die Idee mit der Bewerbung schon 1997 aufgebracht. Die Entscheidung konnte er nicht mehr erleben – er ist vor vier Jahren gestorben.
Vor Ort herrscht am Sonntag der gewohnte Andrang. „Wir haben gerade online geschaut, es ist leider alles ausverkauft“, sagen zum Beispiel Rustam Erkinow (21) und Sanjar Nasip-Aliyev (21). Die beiden usbekischen Studenten aus Regensburg sind extra um 7 Uhr in der Früh mit dem Zug losgefahren, um möglichst viel zu sehen, und jetzt stehen sie vor der unerbittlichen Wächterin. „Wir haben das Schloss auf Instagram gesehen und fanden es sehr sehenswert.“ Aber es sei ja auch ohne Schlosseintritt „wunderschön hier“. Ähnlich ergeht es Volodimir Zimbaluk (64), ein Ukrainer aus München: „Wir haben Besuch von Verwandten und wollten ihnen Neuschwanstein zeigen. Schade, jetzt können wir nicht rein. Aber die Umgebung ist auch sehr schön, wir stellen uns an der Schlange zur Marienklause an.“ Die Gäste seien auch so zufrieden, stellt Zimbaluk fest. „Ich selbst war eh schon drei Mal im Schloss. Ich war schon hier, als die Schlange bis ganz unten zum Ticketcenter gereicht hat, es war Chaos. Heute kommen zwar viele nicht rein, aber es läuft alles zivilisiert ab.“
Am Ticketcenter zu Füßen der Königsschlösser strömen die Besucher aus allen Ländern vorbei, man hört Japanisch, Chinesisch, Spanisch und vieles mehr. Hier gibt es täglich ein Kartenkontingent für Spontanbesucher. „Nur, das ist am Wochenende meistens schon um 10 Uhr ausverkauft“, erklärt Kutscher Willi Müller (62). „Bis circa 14 Uhr gibt es dann nur noch mit Glück Rückgabe-Karten.“ Deshalb steht am Eingang ein Schild mit roter Aufschrift: „Für heute leider ausverkauft.“
Seine Pferde Nora und Sammy kutschieren vor allem jene Glückspilze hoch, die schon online Karten gekauft haben. Dazu gehören heute etwa die Engländer Paul Lundy (61), Phil Benton (63) und ihre Ehefrauen. Sie sind aus München angereist. „Wir haben die Karten erst heute Morgen um 9 online gekauft“, sagen sie. Von der Ernennung zum Weltkulturerbe hätten sie gehört, aber ihr Besuchsgrund sei ein anderer. „Ich habe ein Buch über Ludwig II. und seine Schlösser gelesen“, sagt Lundy. „Ich denke, er war nicht verrückt, er war einfach nur extravagant.“
Kutscher Willi Müller schätzt, dass der richtige Weltkulturerbe-Ansturm erst noch kommt. „Die Leute müssen doch erst einmal davon hören und den Plan zur Reise fassen“, sagt er. „So ein Hochbetrieb wie heute, das ist noch normal. In Zukunft wird es jetzt halt vielleicht noch ein bissl mehr.“ISABEL WINKLBAUER