Zentralrats-Präsident Josef Schuster.
Ebenfalls zu Gast: Michel Friedmann.
Innig: Julia Klöckner und Charlotte Knobloch am Jakobsplatz.
Beim Festakt in der Synagoge sprach neben anderen OB Dieter Reiter. © Astrid Schmidhuber (4)
München – Im Land der Täter neue Wurzeln schlagen? Für viele Juden war 1945 die Wiedergründung einer jüdischen Gemeinde in Deutschland unvorstellbar. Und doch hat sich im Juli nach Kriegsende die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) zusammengefunden. Viele ihrer Mitglieder wollten eigentlich auswandern, nach Palästina oder in die USA, genauso viele sind aber geblieben. Heute feiert die Kultusgemeinde ihren 80. Geburtstag – ein Ereignis, das gestern mit einem Festakt und in der Ohel-Jakob-Synagoge am Jakobsplatz begangen wurde.
„Jüdisches Leben in Deutschland muss heute nicht nur geschützt und bewahrt werden, die Gesellschaft muss es als eine Geschichte reicher Kultur würdigen“, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) in ihrer Rede vor der Festgemeinde. Judenhass komme in Deutschland von rechts, von links und aus religiösem Eifer. „Hier müssen politische Konsequenzen gezogen werden – und zwar nicht dort, wo Gratis-Mut gefragt ist.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der zuvor die Vorsitzende der Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, ritterlich zu ihrem Platz geführt hatte, beeindruckte die Zuschauer mit einem gefühlvollen Grußwort. „Ich weiß nicht, ob ich damals so einen Neuanfang gewagt hätte“, sagte er. „Die Deutschen waren damals für die Juden nicht mehr Dichter und Denker, sondern Mörder und Verbrecher. Nach so einer Abwesenheit von Gott neu anzufangen, ist eine Riesenleistung.“ Söder erneuerte das Schutzversprechen des Freistaats an seine jüdischen Bürger und mahnte zum Schulterschluss mit Israel. Natürlich dürfe man den Staat auch kritisieren. Aber: „Israel ist nun mal die Demokratie im nahen Osten. Die Freundschaft ist keine Zwangssolidarität, sie ist ein Bündnis gemeinsamer demokratischer Werte.“
Als Redner schlossen sich ihm zahlreiche Würdenträger und Prominente an, etwa Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), der Judaistik-Professor Philipp Lenhard (LMU), Josef Schuster vom Zentralrat der Juden und Publizist Michel Friedmann.
Besondere Aufmerksamkeit bekam allerdings Charlotte Knobloch (92). Denn einerseits war es ihr Vater, der Rechtsanwalt Fritz Neuland, der 1945 zu den wichtigsten Gründern und Vorsitzenden der Kultusgemeinde zählte. Andererseits ist Knobloch seit 40 Jahren selbst Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde – sie feierte gestern ihr Amtsjubiläum. Wo sie sonst nicht mit Kritik spart, hielt sie diesmal eine Dankesrede an die versammelten Freunde und Mitglieder. „Dass es uns hier an diesem Ort noch gibt, das wollten wir unbedingt feiern, mit Ihnen. Sie geben mir die Hoffnung zurück!“, sagte sie neben vielen weiteren Freudenworten.
Münchens Israelitische Kultusgemeinde ist mit 9300 Mitgliedern die größte jüdische Gemeinde in Deutschland. Seit 2006 hat sie ihren Sitz im Gemeindezentrum am Jakobsplatz. Das Geburtstagsgeschenk der Stadt: Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kündigte an, in Kürze eine Straße nach Fritz Neuland benennen zu wollen.
Er bezeichnete den Aufschwung jüdischen Lebens in München als Verdienst der Überlebenden, „die sich ihren Glauben an die Bereitschaft zum Guten im Menschen bewahrt“ und ihre Vorstellungen von einer gerechten Welt „gegen alle Barbarei“ verteidigt hätten.ISABEL WINKLBAUER